Der verlorene Ursprung
Anweisungen falsch ausgelegt. Da sahen die Götter, daß gut war, was sie geschaffen hatten. Doch nicht alles lief, wie es sollte, also sandten sie Oryana.
Oryana war eine Göttin aus den Tiefen des Universums. Sie war eine Frau, nahezu identisch mit den Frauen, die auf der Erde lebten, denn das Leben schrieb überall das gleiche, wenn auch mit geringen Abweichungen. Nur bisweilen irrte es wie bei den Menschenwesen, und dann mußten die Götter einschreiten, auch wenn sie es nicht gerne taten. Oryana ähnelte in fast allem den Menschen. Sie hatte sehr große Ohren, und ihr Schädel besaß die Form eines langgestreckten Kegels. Als sie auf die Erde kam, vereinte sie ihr Leben mit mehreren Erdenwesen und schrieb auf diese Weise um, wie groß die Intelligenz der Menschen sein solle. Sie gebar sechzig Menschenwesen, alle mit einem vollkommenen Gehirn gleich dem ihren, mit grenzenlosen Fähigkeiten, und sie lehrte ihre Söhne und Töchter sprechen. Sie schenkte ihnen gleichsam die Sprache, ihre Sprache, und sagte ihnen, sie sei heilig. Denn mit ihr seien sie in der Lage, das Leben neu zu schreiben und diesen vollkommenen Geist zu nutzen, über den sie jetzt verfügten. Sie sagte ihnen, sie habe die Menschen in allem den Göttern gleichgemacht und sie sollten diese Sprache, das Jaqui Aru, bewahren, ohne sie zu verändern oder abzuwandeln, denn sie gehöre allen gleichermaßen. Das Jaqui Aru solle allen dazu dienen, ihre ungeheure Intelligenz zu gebrauchen. Während sie ihre Menschenkinder diese und viele andere Dinge lehrte, erbauten die Menschen an Oryanas Geburtsort eine Stadt. Dort wollten sie leben. Und sie nannten sie Taipikala, der Stadt zu Ehren, aus der ihre Mutter stammte, wie sie ihnen gesagt hatte. Sie lernten vergorene Getränke herzustellen aus den neuen Pflanzen, die Oryana ihnen geschenkt hatte, darunter der Mais. Sie lernten Honig zu sammeln von der Biene, einem anderen Tier, das sie mitgebracht hatte und das den Menschen zuvor unbekannt gewesen war. Sie lernten Metalle zu verarbeiten, zu spinnen und zu weben, den Himmel zu erforschen, zu rechnen und zu schreiben ... Und als zweihundert Jahre nach ihrer Ankunft alles geregelt war, nahm die Göttin Oryana Abschied von der Stadt.
Tausende von Jahren vergingen, und die Nachkommen der Urmutter Oryana - oder Orejona, die Langohrige, wie man sie inzwischen eingedenk ihrer großen Ohren nannte - bevölkerten die Erde, hatten Städte und Kulturen überall auf dem Planeten gegründet. Viele Zeitalter hatten die Menschen das Jaqui Aru unverändert bewahrt, und alle wußten die Macht zu nutzen, die ihr innewohnte. Doch trotz des Verbots kam es an vielen Orten schließlich zu Veränderungen. Die Völker verstanden einander nicht mehr, und das alte Wissen schwand mit der Zeit dahin. Die Menschen hörten auf, das große Potential ihres Gehirns zu nutzen, ein Potential, das sie in ihrer ganzen Unerschöpflichkeit letztlich nie erkannten. In Taipikala aber bewahrte man Oryanas Sprache, trieb sich als Zeichen der Verehrung weiterhin Goldschmuck in die Ohren und formte die Schädel nach Oryanas Vorbild lang und konisch. Die Stadt entwickelte sich indes zu einer wichtigen Stätte, und die Yatiri wurden die Bewahrer der ursprünglichen Weisheit.
In der alten Welt, so berichteten die Capacas, kannte man weder Eis noch Wüste, weder Kälte noch Hitze. Es gab keine Jahreszeiten, und das Klima war immer mild. Eine Schicht aus Wasserdampf umhüllte die Erde, und das Licht, das den Boden erreichte, war schwach und diffus. Die Luft aber war reich, und die Pflanzen wuchsen das ganze Jahr hindurch, so daß man nicht zu säen noch zu ernten brauchte, denn immer gab es alles reichlich und im Überfluß. Auch existierten alle Tiere, nicht eines fehlte, und sie waren viel größer als heute, desgleichen die Pflanzen, die auch alle da waren, ganz so wie das Leben es vorschrieb. Doch eines Tages stürzten sieben Felsen, groß wie Berge, vom Himmel und mit solcher Wucht auf die Erde, daß diese zu tanzen begann und die Sterne sich am Firmament verschoben. Gigantische Staubwolken wirbelten in die Luft, verdunkelten die Sonne, den Mond und die Sterne und hüllten die Erde in finstere Nacht. Auf dem Planeten brachen allenthalben die Vulkane aus, rissen den Boden auf und spien gewaltige Mengen an Rauch, Asche und Lava aus. Schreckliche Erdbeben zerstörten die Städte und verschonten kein Bauwerk, das von Menschenhand erschaffen war. Ein glühender Wirbelsturm, der die Haut verbrannte und
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