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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Lola stand auf und verkündete feierlich ihren Namen, als stünde sie vor Gericht.
    »Doña Lola«, ergriff Arukutipa das Wort, »die Capacas haben mir befohlen, Euer Gnaden zu sagen, was Ihr zu wissen begehrt. Sie antworten nach bestem Wissen und Gewissen.«
    »Einen Augenblick mal!« ereiferte sich Efraín und packte Lola am Arm, damit sie sich zu uns umwandte. »Wir müssen uns erst absprechen, was du fragen wirst. Vielleicht gibt es keine zweite Gelegenheit.«
    »Das ist doch klar, oder?« erwiderte Marta ruhig. »Wir haben zwei große Unbekannte. Erstens: die Macht der Worte. Zweitens: die Geschichte der Giganten.«
    »Das wären dann schon zwei Fragen«, warf ich ein.
    »Na schön, wir können es zumindest mal versuchen«, schlug Efraín vor. »Vielleicht beantworten sie ja beide.«
    »Ich bitte euch«, drängte Gertrude leise, »zuerst das mit der Macht des Aymara. Das ist wichtiger als alles andere.«
    »Beide Fragen sind wichtig, mein Engel«, entgegnete Efraín.
    »Hört auf mich, bitte. Zuerst das mit dem Aymara.«
    »In Ordnung«, sagte Lola und wandte sich wieder dem Dolmetscher der Capacas zu. »Ich möchte wissen«, sagte sie, »wie es kommt, daß ihr die Fähigkeit habt, Menschen zu manipulieren, sie zu verändern und allein durch die Macht der Worte entweder gesund oder krank zu machen.«
    Der arme Arukutipa muß Blut und Wasser geschwitzt haben, während er Lolas Anliegen übersetzte, denn trotz der Entfernung standen ihm seine Qualen deutlich ins Gesicht geschrieben. Obendrein knetete und rieb er sich ständig die Hände, als wollte er verhindern, daß sie zitterten.
    Diesmal dauerte seine Unterredung mit den Capacas länger als gewohnt. Bisher hatten sie nie mehr als zwei oder drei Sätze ausgetauscht, obwohl der Junge anschließend lange Erklärungen oder Fragen vorgebracht hatte. Doch nun zog sich ihre Debatte über mehrere Minuten hin. Nach meinem Eindruck ging es dabei nicht um die Frage, ob sie uns ihr Geheimnis offenbaren sollten oder nicht. Es schien sich eher um die Frage zu drehen, wie, wann und was genau man preisgeben solle. Daß sie uns etwas erzählen würden, daran zweifelte ich nicht. Aber würde es alles oder nur ein Teil sein ...?
    »Die Macht steckt in den Worten«, wandte Arukutipa sich plötzlich laut und vernehmlich an Lola, die dastand und wartete. Anschließend zog er sich zurück und überließ den Capacas das Feld. Die vier Alten erhoben sich, ballten die Hände zur Faust und legten die gekreuzten Arme vor die Brust, so daß die Fäuste an ihren Schultern ruhten. Dann stimmten sie einen seltsamen Singsang auf Aymara an. Anfangs waren Marta und Efrain dermaßen überwältigt, daß sie den Atem anhielten, doch sie gewannen rasch ihre Fassung wieder. Ohne eine Sekunde den Blick von den Capacas abzuwenden, begann Marta mit monotoner Stimme für uns zu übersetzen, was die Alten sagten. Doch sie hätte es genausogut seinlassen können, denn wundersamerweise verstanden wir sie auch so. Ich will bestimmt nicht behaupten, uns sei eine Art Wunder widerfahren wie das zu Pfingsten. Ganz im Gegenteil. Der Grund, warum wir die Litanei der alten Capacas verstanden, lag in der Geschichte selbst verborgen, die sie in ihrem Singsang erzählten. Am Ende verschwamm Martas Stimme mit der, die ich in meinem Innern, im Geiste, hörte, und ich hätte beide nicht mehr auseinanderzuhalten gewußt. Wenn sie sich auch unterschieden, so sagten sie doch das gleiche, und beider Gemurmel wirkte ausgesprochen hypnotisierend.
    »Am Anfang war kein Leben auf der Erde«, begannen die Alten ihre Erzählung, »und eines Tages kam das Leben zu uns auf großen dampfenden Steinen, die allenthalben vom Himmel herabfielen. Das Leben wußte, welche Dinge, welche Tiere und Pflanzen es erschaffen sollte, denn es trug alles in sich geschrieben in der geheimen Sprache der Götter. Und alles bevölkerte sich mit lebendigen Wesen, und sie eroberten die Erde, das Meer und die Lüfte. Die Menschenwesen aber waren beschaffen wie die von heute und in nichts von ihnen zu unterscheiden, außer in ihrem beschränkten Geist, der kaum dem der Ameise überlegen war. Sie besaßen weder Haus, noch verrichteten sie Arbeit, und sie hüllten sich in das Fell der Tiere und die Blätter der Bäume. In jenen fernen Zeiten war alles sehr groß, ja von gigantischen Ausmaßen. Selbst die Männer und Frauen waren viel größer als heutzutage, doch ihr Gehirn war klein, so klein wie beim Reptil, denn das Leben hatte sich geirrt und die

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