Der verlorene Ursprung
unheilbare Wunden schlug, färbte die Erde und das Wasser rot und vergiftete alle Dinge. Das Feuer fraß die Bäume und das Gras, und manch ein Fluß verdampfte, und zurück blieb nur das trockene Flußbett. Glühende Feuers-brünste tobten, brannten in Sekundenschnelle ganze Wälder nieder und verwüsteten die Erde. Menschen und Tiere suchten verzweifelt in Höhlen und Schluchten Schutz vor dem Tod, doch nur wenigen gelang die Flucht. Tage später brach plötzlich eine nie gekannte, schneidende Kälte über sie herein, gefolgt von heftigen Regenfällen und Überschwemmungen, die glücklicherweise die Brände löschten, die immer noch die Welt heimsuchten. Dann fiel Schnee. Und all das geschah in so kurzer Zeit, daß viele Tiere im Lauf, beim Gebären oder beim Fressen vom ewigen Eis eingeschlossen wurden. Und der Schlamm begrub alles und jeden unter sich. Die Meere traten über die Ufer, und gigantische Wellen überschwemmten das Land, rollten als massive, himmelhohe Wasserwände heran und bedeckten selbst die höchsten Gipfel der Berge mit den Überresten toter Meerestiere. So nahm seinen Anfang, was die Völker der Welt die Sintflut nennen.
Es regnete ohne Unterlaß fast ein Jahr lang. Bisweilen, wenn die Kälte obsiegte, verwandelte sich der Regen in Schnee, und wenn es dann wieder regnete, überschwemmten die Wasser das Land. Seit dem Tag, als das Unheil begann, ward die Sonne nicht mehr gesehen. Die Katastrophe traf die ganze Welt. Die Verbindung zu anderen Völkern und Städten ging verloren. Man hörte nichts mehr voneinander, wie man auch viele Arten von Tieren und Pflanzen, obschon früher sehr zahlreich, niemals wiedersah. In jener Zeit wurden sie für immer ausgelöscht. Nur ihr Andenken blieb, festgehalten auf manchen Reliefs in Taipikala, doch von vielen anderen blieb nicht einmal das. Die wenigen Überlebenden, die das Ende jener langen, verheerenden Nacht erleben durften, waren krank oder schwach und von großer Furcht erfüllt. Sie konnten sich nicht einmal mit dem Gedanken trösten, daß ihre Welt wieder sein würde wie früher. Die Erde war zerstört, und man mußte sie aus den Resten neu erschaffen.
Lange Zeit später zog sich eines Tages die dunkle Wolke zurück, die sich auf die Erde gesenkt hatte, und mit ihr schwand die leichte Hülle aus Wasserdampf, die über der Erde lag. Es hörte auf zu regnen, und die Sonnenstrahlen trafen auf den Boden mit all ihrer Kraft. Schreckliche Verbrennungen waren die Folge, alles verdorrte. Doch ganz allmählich begannen die Lebewesen, sich an die veränderte Welt zu gewöhnen, und das Leben schrieb neu, nach seinem ewigen Diktat. Die Jahre waren freilich jetzt fünf Tage länger als zuvor, denn die Erde hatte die Achse geneigt. Davon zeugte die neue Anordnung der Sterne am Himmel, und die Jahreszeiten zwangen die Menschen, das Säen und Ernten zeitlich festzulegen, wenn sie etwas zu essen haben wollten. Folglich mußte vieles neu geordnet werden, so auch der Kalender und die Sitten und Gebräuche. Auch die Städte wurden wieder aufgebaut, darunter Taipikala, doch da die Menschen noch schwach waren, fiel ihnen das Arbeiten schwer. Die Kinder kamen krank zur Welt und mißgebildet, und die meisten starben, noch bevor sie erwachsen waren. Wenn auch die Erde sich reichlich schnell erholte und die Natur nicht lange brauchte, um neu zu erstehen, kostete es die Menschen, Männer wie Frauen, ja selbst manche Tierart, viele Jahrhunderte, bis wieder Normalität einkehrte. Und während die Jahrhunderte verstrichen, merkten sie, daß ihr Leben immer kürzer wurde und ihre Kinder und Enkel sich nicht entwickelten wie zuvor.
Da ergriffen in ihrem Reich die Yatiri von Beginn an die Zügel - was jenseits der Grenzen geschah, entzog sich ihrer Kontrolle. Wollten sie dem herrschenden Chaos, diesem Zustand der Barbarei ein Ende setzen, in den die Menschen zurückgefallen waren, mußten sie die alte Autorität wiedererlangen. So erfanden die Yatiri einfache Erklärungen, Rituale und neue Regeln, damit Ruhe einkehrte unter den Menschen. Nur sie bewahrten schließlich noch die Erinnerung an das, was einst gewesen war. Die Menschen vermehrten sich, neue Kulturen entstanden und neue Völker, die von vorne anfangen und hart ums Überleben kämpfen mußten. Viele wurden wild und gefährlich. Aus den Yatiri und ihrem Gefolge wurden die Aymara, >Das Volk aus uralten Zeitenc, denn sie wußten Dinge, die andere nicht verstanden, und sie hüteten die heilige Sprache samt der ihr
Weitere Kostenlose Bücher