Der verlorene Ursprung
sein, Großmutter. Wir werden es erst erfahren, wenn wir zurück sind.«
»Na ja, dein Bruder ist wieder zu Hause. Vor eineinhalb Monaten haben wir ihn aus dem Krankenhaus geholt. Es geht ihm keinen Deut besser. Der Ärmste ist noch genauso schlecht dran wie bei deiner Abreise. Inzwischen spricht er nicht einmal mehr. Ich hoffe, was du da mitbringst, ist wenigstens zu irgendwas gut. Willst du mir nicht verraten, was es ist?«
»Ich rufe dich von Freunden aus an. Das hier ist ein Ferngespräch, Oma. Wenn ich zurück bin, erzähl ich dir alles, einverstanden?«
»Wann kommst du denn?«
»Sobald wir Flugtickets haben. Frag Nuria. Ich rufe sie gleich an, damit sie alles regelt. Sie wird dich auf dem laufenden halten.«
»Ich sehne mich danach, dich wiederzusehen!«
»Ich auch, Oma.« Ich lächelte. »Ach, übrigens! Da ist etwas, worum ich dich bitten muß. Versuche es so einzurichten, daß ich einen Augenblick mit Daniel allein sein kann. Ich will, daß niemand dabei ist und zuguckt. Auch nicht, daß einer im Wohnzimmer wartet oder in der Küche das Abendessen zubereitet. Die Wohnung muß vollkommen leer sein. Außerdem werde ich jemanden mitbringen.«
»Arnau!« ereiferte sie sich. »Du hast doch nicht etwa vor, deinem Bruder einen indianischen Medizinmann ins Haus zu schleppen, oder?«
»Wie kommst du darauf, daß ich einen Medizinmann mitbringen würde!« protestierte ich. »Nein. Es handelt sich um Marta Torrent, Daniels Chefin.«
Es folgte ein langes, beredtes Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Marta Torrent ...?« sagte sie endlich skeptisch.
»Ist das nicht die Hexe, von der Ona erzählt?«
»Ja, genau die.« Ich schaute verstohlen zu Marta hinüber, die mit Lola gerade über etwas im Fernsehen lachte. »Aber sie ist eine großartige Person, Oma. Du wirst sie noch kennenlernen. Ich bin sicher, daß sie dir gefällt. Sie ist es, die Daniel gesund machen wird.«
»Also, ich weiß nicht, Arnauchen ...« Sie druckste herum. »Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, Marta Torrent zu Ona und deinem Bruder mitzubringen. Ona könnte es in den falschen Hals kriegen. Du weißt doch, daß sie Marta die Schuld an Daniels Krankheit gibt.«
»Hör mal, Großmutter, zwing mich nicht, dir jetzt mehr zu verraten, als uns beiden lieb ist.« Ich war verärgert. Die Erinnerung an den Unsinn, den mein Bruder und meine Schwägerin über Marta erzählt hatten, verdarb mir die Laune. »Tu nur, was ich dir sage, und überlaß den Rest mir. Versuche, es so einzurichten, daß niemand in der Wohnung ist und Marta und ich unbemerkt hineinkönnen.«
»Bring mich nicht in Schwierigkeiten, mein Junge!«
»Du bist ein Schatz, mein Mädchen!« sagte ich im Scherz.
»Natürlich bin ich ein Schatz! Was wäre sonst aus dieser Familie geworden. Trotzdem bleibe ich dabei, du bringst mich mit deinem Wunsch ganz schön in die Bredouille.«
»Du schaffst das schon«, munterte ich sie auf. »In ein paar Tagen sehen wir uns. Paß auf dich auf, bis ich zurück bin, versprochen?«
Anschließend telefonierte ich mit Nuria. Als ich den Hörer vom Ohr nahm, war es nicht mehr nur die Zivilisation, die mir fremd vorkam, sondern genauso die Erinnerung an den Urwald. Wie durch einen Zauber verfiel ich wieder in alte Gewohnheiten und spürte, daß ich allmählich wieder der alte Arnau Queralt wurde. Aber nein, sagte ich mir. Bloß nie wieder der alte!
Epilog
Zwei Tage später, am 16. August, bestiegen wir das Flugzeug, das uns nach Peru bringen sollte. Wie auf dem Hinweg würde die gesamte Reise etwas über zweiundzwanzig Stunden dauern. Doch da wir nun gegen die Sonne flogen, würden wir erst zwei Tage später, am Sonntag, dem 18., in Spanien eintreffen. Mit vielen Umarmungen verabschiedeten wir uns von Efrain und Gertrude am Flughafen El Alto und nahmen einander das Versprechen ab, uns sehr bald wiederzusehen - diesseits oder jenseits des Atlantiks. Marta würde Anfang Dezember nach Bolivien zurückkehren, um über Weihnachten die Ausgrabungen von Lakaqullu voranzubringen, und ich hatte Gertrudes Aufnahme von unserem Gespräch mit den Capacas im Gepäck.
»Halt mich auf dem laufenden über alles, was du tust«, bat sie mich zum tausendsten Mal, »und gib Nachricht, sobald du etwas herausfindest.«
»Jetzt gehen Sie ihm nicht auf den Wecker, bitte!« raunzte Efrain und drückte mir fest die Hand.
»Sei unbesorgt, Gertrude«, sagte ich, »du hörst sofort von mir.«
Vor dem Start nahm Marc irgendwelche Tabletten, die er von
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