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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war.
    Alles, was Jabba und Proxi mir erzählt hatten, verblaßte angesichts dessen, was die Aymara-Sprache wirklich war. Natürlich konnte ich nicht so viele Sprachen wie Daniel und war außerhalb des Katalanischen, Spanischen oder Englischen hilflos wie ein Baby. Ich hatte also wenig Vergleichsmöglichkeiten mit anderen natürlichen Sprachen. Was ich jedoch beherrschte, waren die Programmiersprachen (Python, C/C++, Perl, LISP, Java, Fortran ... ), und das war mehr als ausreichend. Ich konnte erkennen, daß das Aymara anders war als andere Sprachen: Das Aymara war wie eine Programmiersprache. Es war so präzise wie eine Atomuhr, funktionierte ohne jede Zweideutigkeit oder Ungenauigkeit. Selbst ein reiner, mustergültig geschliffener Diamant konnte es nicht mit dieser Perfektion, Reinheit und Strenge aufnehmen. Im Aymara gab es keine Sätze wie >Das Huhn steht auf dem Tisch<, ein Satz, über den wir als Kinder wegen seiner Doppeldeutigkeit immer lachen mußten. Nein, das Aymara erlaubte diese Art sprachlicher Ungereimtheiten nicht. Außerdem schienen die Satzbau-Regeln einer unveränderlichen Reihe mathematischer Formeln zu folgen. Wurden diese angewendet, ergab sich merkwürdigerweise, aber folgerichtig eine dreifache Wertung: wahr, falsch und neutral - im Gegensatz zu jeder anderen bekannten natürlichen Sprache, die gemäß der altbekannten aristotelischen Konzeption nur wahr oder falsch kannte. Tatsächlich konnten die Dinge auf Aymara buchstäblich weder wahr noch falsch, noch das genaue Gegenteil sein, und es gab offensichtlich keine andere Sprache auf der Welt, die so etwas erlaubte. Das war nicht weiter verwunderlich. Im Laufe der Jahrhunderte entwickeln Sprachen einen Reichtum, den man üblicherweise gerade anhand ihrer literarischen Fähigkeit zu Verwirrspielen und Doppeldeutigkeiten bemißt. Während also die Aymara-Indianer sich ihrer Sprache schämten und als arme, rückständige Indios ohne Kultur ausgegrenzt wurden, war ihre Sprache eigentlich der eindeutige Beweis dafür, daß sie einer höher entwickelten Zivilisation als der unseren entstammten - oder zumindest einer Kultur, der es gelungen war, eine Sprache zu schaffen, die auf höchst komplexen mathematischen Algorithmen basierte. Kein Wunder, daß Daniel von dieser Entdeckung fasziniert gewesen war und er sein Studium des Quechua gegen das des Aymara eingetauscht hatte. Mich machte allerdings stutzig, daß er nicht auf meine Hilfe zurückgegriffen hatte, um diese so abstrakten Konzepte zu verstehen. Schließlich waren sie meilenweit entfernt von den Fachgebieten, auf denen er sich auskannte und die er studiert hatte. Ich erinnerte mich nur zu gut, daß er mich zwar mehrmals gebeten hatte, ihm einfache und auf ganz spezielle Funktionen beschränkte Programme zur Archivierung, Klassifizierung und Verwaltung von Daten (wie Bibliographien, Statistiken und Bildern) zu schreiben, am Ende aber sogar diese kleinen Anwendungsprogramme zu kompliziert und schwer zu bedienen fand. Ich bezweifelte daher, daß er allein fähig gewesen wäre, die Ähnlichkeiten zwischen dem Aymara und modernen, ausgeklügelten Programmiersprachen zu erkennen.
    Auch tauchte nirgends im Aymara das obskure Quipu auf, von dem Jabba und Proxi gefaselt hatten. Zum Thema Quipus lag mir nur ein umfangreicher Ordner mit den Kopien der Miccinelli-Dokumente vor. Doch ich mußte aufgrund des Ortes, an dem er vergraben, und der feinen Staubschicht, mit dem er bedeckt war, annehmen, daß Daniel ihn seit langem nicht mehr angefaßt hatte. Wenn diese Knotenschnüre bzw. ihre graphische Reproduktion irgendwo in Daniels Büro waren, dann in den Tiefen seines Laptops. Den funkelnagelneuen IBM hatte ich ihm zu Weihnachten geschenkt. Er hing immer noch an der Steckdose und lud den Akku auf, der längst ausreichend geladen war. Ich drückte den Einschaltknopf, und sofort kehrte die kleine Festplatte mit sanftem Schnurren ins Leben zurück. Der Bildschirm leuchtete von der Mitte zu den Seiten hin auf und zeigte die kurzen Systemmeldungen an, bevor die blaue Windows-Oberfläche erschien. Ich machte es mir bequem, während ich darauf wartete, daß er fertig gebootet war, und rieb mir die müden Augen, als plötzlich ein orangefarbener Lichtblitz einen ungewöhnlichen Vorgang beim Hochfahren des Operationssystems meldete. Ich zwinkerte nervös, um wieder scharf sehen zu können, und entdeckte die überraschende Anforderung eines Paßworts, doch es war weder das Paßwort für das BIOS gemeint noch das

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