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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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den ich bisher für einen eher ungeschickten und wenig phantasievollen User gehalten hatte.
    Der Verdacht, daß ich mich da ziemlich in ihm geirrt hatte, wuchs, als ich zu Hause die Erfahrung machen mußte, daß keines meiner mächtigen Dechiffrierprogramme Wirkung zeigte. Meine Paßwortsammlung war die vollständigste, die zu finden war, und die Programme wendeten mit unschlagbarer Rechenkapazität gleichsam rohe Gewalt an, doch jenes unscheinbare Anwendungsprogramm weigerte sich weiterhin standhaft, mir das Paßwort zu verraten. Ich war total irritiert und konnte mir nur vorstellen, daß Daniel ein langes Wort aus dem Aymara benutzt hatte, das herauszufinden mir so gut wie unmöglich war. Nach mehreren Stunden blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Inkrement-Dechiffrierung zurückzugreifen, die auf der zufälligen Kombination von Buchstaben oder Ziffern oder von beidem basierte. Wollte ich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mußte ich sämtliche Ker-Central-Rechner gleichzeitig darauf ansetzen und die Daumen drücken, daß das Ganze nicht unendlich dauern würde. Das Problem war nur, daß viele der Rechner des Unternehmens auch nachts weiterarbeiteten, so daß ich das System darauf programmieren mußte, nur die verfügbaren Rechner und die Stand-by-Zeiten der laufenden Rechner zu nutzen.
    Als ich an jenem Samstagmorgen zur Universität fuhr, hatte ich das Paßwort noch immer nicht herausgefunden, aber viel konnte nicht mehr fehlen. Dieser Gedanke gab mir auf dem Weg zur Doctora Hoffnung, und ich genoß die Sonne, das Licht und das Gefühl der Normalität, die mir die Straße und mein Wagen zurückgaben. Ich hatte mein Haar offengelassen, das mir bis auf den Rücken fiel, und einen meiner neuen Anzüge angezogen, den beigen, dazu ein Hemd mit Stehkragen und Lederschuhe. Wenn diese Frau so hart war, wie Ona sagte, mußte ich aussehen wie ein verläßlicher und respektabler Unternehmer.
    Mir gefiel der Campus der Universität. Wenn es mich anläßlich irgendeines Treffens mit den Leuten vom Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz dorthin verschlug, kam er mir immer vor wie eine Art moderne und gastliche Großstadt, auf deren Bürgersteigen und in deren Gärten Professoren und Studenten flanierten, die sich mit ihren Büchern auch auf den Rasenflächen im Schatten der Bäume niederließen. Im Winter waren die Grünzonen morgens weiß von Rauhreif oder schneebedeckt, bis die Mittagssonne sie mit einer glänzenden Wasserschicht überzog, aber im Frühling saßen große Gruppen in der Sonne, die ihr Seminar an die frische Luft verlegt hatten. Woran ich mich allerdings nicht gewöhnen konnte, war ein gewisser Gebäudetyp: Die älteren Fakultäten waren ganz im Stil der traurigen architektonischen Mode der siebziger Jahre, häßliche Blocks aus Beton, Aluminium und Glas, das Skelett unverkleidet von außen sichtbar.
    Ich schüttelte den Gedanken ab und beschloß, so lange nach dem Weg zu fragen, bis ich an mein Ziel gekommen wäre, da ich nicht den ganzen Tag auf dem Campus im Kreis fahren wollte. Wie zu erwarten, verirrte ich mich trotzdem, denn die vielen Schilder trugen nicht gerade zur Orientierung bei. Glücklicherweise hatte ich genug Zeit, denn einmal fand ich mich auf der Straße nach Sabadell, das andere Mal auf der nach Cerdanyola wieder. Schließlich hatte ich die Tiefgarage gefunden und konnte das Auto abstellen. Mit der Aktentasche unter dem Arm schlenderte ich zur geisteswissenschaftlichen Fakultät, in der das Institut für Anthropologie und Frühgeschichte lag, an dem sowohl mein Bruder als auch Marta Torrent arbeiteten.
    Leider war es eine der älteren Fakultäten, so daß ich lange, graue Gänge (übersät mit den verschiedensten Plakaten, Kritzeleien und Aufklebern) auf der Suche nach einem Pedell durchstreifte, der mir behilflich sein konnte, allerdings ohne Erfolg, vielleicht, weil Samstag war. Zum Glück stieß ich auf eine Gruppe von Studenten, die aus einer Prüfung kamen und mir den Weg durch das Labyrinth wiesen. Ich stieg Treppen hoch, bog um Ecken, kam mehrmals an denselben Stellen vorbei und stand endlich im Gebäude B vor einer Tür, genauso nichtssagend wie die anderen, an der ein Schild mir verkündete, daß ich nach schwieriger Navigation ohne Kompaß den Hafen erreicht hatte.
    Ich nahm die linke Hand aus der Hosentasche und klopfte vorsichtig an. Hinter der Tür waren Stimmen und Geräusche zu hören, und daher erwartete ich nicht, auf Gleichgültigkeit zu stoßen.

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