Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
meiner Großmutter allerdings vermochte den auf der Familie lastenden Druck um einiges zu vermindern. Gleich nach ihrer Ankunft hatte sie unsere Schichten so organisiert, daß wir fast wieder ein normales Leben führen konnten - von einer kleineren Ausnahme abgesehen. Doch da es darum ging, bei Daniel zu sein, störte das niemanden. Meine Großmutter war eine starke Frau, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Sie hatte bewundernswerte Managementfähigkeiten und war sehr viel klarer strukturiert als etwa meine Mutter, die von ihr schnell zur Räson gebracht wurde, wann immer sie in Großmutters Gegenwart aus dem Ruder lief. Meine Großmutter übernahm umgehend die Nachtschicht und schickte Ona und mich nach Hause, damit wir zu einer vernünftigen Zeit ins Bett kamen. Ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, daß sie innerhalb kürzester Zeit einen Haufen Freundinnen und Bekannte in der Cafeteria haben würde und dort zu Hause wäre wie auf der Plaza de Vie sonntags vormittags nach der Messe.
    Ich hatte um eins einen Termin bei Marta Torrent in der Universität. Es war ebenjener Samstag, der erste Juni, an dem die Barcelona Dragons gegen die Rhein Fire aus Düsseldorf spielten. Das strahlende Wetter an diesem leuchtenden Morgen lud zu einem Bummel ein unter dem Vorwand, ein gutes Buch oder eine schöne CD zu kaufen. Während ich im Auto, die Sonnenbrille auf der Nase, durch die Tunnel von Vallvidrera in Richtung Universität fuhr, grübelte ich weiter über meine Suche nach dem Code zur Entzifferung der Hieroglyphen auf dem Notizzettel im Büro meines Bruders. Ich hegte insgeheim die Hoffnung, daß mir die Doctora helfen würde, ihn zu knacken. Denn inzwischen war meine Verwirrung eher noch größer.
    Am Tag nach meinem Gespräch mit Proxi und Jabba war ich, bepackt mit den Büchern und Dokumenten, in die Calle Xiprer zurückgekehrt. Ich war bereit, soviel Zeit wie nötig zu investieren, um zu verstehen, in was zum Teufel Daniel sich da hineingeritten hatte. Nachdem ich Schubladen, Regale, Aktenordner und alles, was mir sonst in die Hände fiel, durchsucht hatte, begann ich zu sortieren. Ich legte verschiedene Stapel an, unterteilt nach Inka und Aymara, und innerhalb dieser Haufen wiederum getrennt nach Geschichte einerseits und Sprache und Schrift andererseits. Alles, was ich nicht zuordnen konnte, legte ich auf einen weiteren Stapel, der mit der Zeit allerdings so umfangreich wurde, daß ich ihn weiter unterteilen mußte in Texte und Bilder, denn es gab eine Menge Diagramme, Karten, Fotos, Fotokopien von Fotos und Skizzen, die mein Bruder eigenhändig angefertigt hatte. Diese Ordnung war aus akademischer Sicht bestimmt verwegen, orientierte sich aber an den Kriterien, die mir zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung standen.
    Das erste, was mir auffiel, war das Bild eines länglichen Schädels, aus dessen Augenhöhlen mir die eingetrockneten Reste der Augen entgegenstarrten. Mehr als dieser leicht gruselige Blick verwirrte mich jedoch die Form des Schädels: Statt der normalen Rundung von der Stirn bis in den Nacken verlängerte er sich nach oben wie die Spitzkappe eines Nazareners, wirkte überdimensioniert und unnatürlich konisch. Einige ähnliche Bilder deuteten darauf hin, daß das Thema Daniel beschäftigt haben mußte. Im selben Ordner fand ich außerdem das Foto einer Steinmauer, aus der lauter steinerne Köpfe ragten, die bereits verwittert waren, sowie die unscharfe, digitale Vergrößerung eines merkwürdigen körperlosen Männchens. Es bestand nur aus einem Kopf, aus dem wie Froschschenkel dünne Ärmchen und Beinchen ragten, und trug einen dichten schwarzen Bart und eine riesige rote Mütze. Köpfe über Köpfe . Ein weiteres ungelöstes Rätsel. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, entdeckte ich die zusammengefaltete Vergrößerung eines mächtigen steinernen Quadratgesichts mit riesigen runden schwarzen Augen. Ich hätte schwören können, es bereits tausendmal gesehen zu haben - nur daß ich nicht mehr wußte, wo. Zweifellos stammte es von den Inka. Da mein Bruder es nicht beschriftet hatte, hätte es jedoch genausogut ein Marken-logo sein können, etwa eine eingemeißelte Sonne - aus dem Gesicht wuchsen Strahlen - von irgendeiner Wand in Cuzco, Machu Picchu, Tiahuanaco, Vilcabamba oder einem der anderen zahlreichen Ruinenfelder, die über das alte Inkareich verstreut und mir inzwischen durchaus bekannt waren.
    Außerdem fand sich in Daniels Unterlagen die von ihm mit rotem

Weitere Kostenlose Bücher