Der verlorene Ursprung
weiteren fünftausend Teilen zu finden.«
»Na ja, vielleicht nicht ganz«, bremste Proxi. »Aber es war schon ziemlich aufwendig.«
»Und jetzt erzählen wir dir eine Geschichte. Die merkwürdigste Geschichte, die du jemals gehört hast. Aber Achtung!« warnte er und reckte gleich beide Zeigefinger in die Luft. »An dieser Geschichte ist alles wahr, auch die kleinste Kleinigkeit. Es geht hier nicht um Hobbits und Elfen, okay?«
»Okay.« Ich saß wie auf Kohlen. Doch schließlich begann nicht Jabba, sondern Proxi zu erzählen - nachdem sie am Kaffee genippt und das Täßchen zurück auf die Untertasse gestellt hatte. »Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches ...«:, fing sie an.
»Findest du nicht auch, daß es so aussieht, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht?« fragte mich Jabba und tat tiefbeeindruckt.
Ich lachte und nickte energisch. »Hast du >osmanisch< gesagt? Meintest du nicht eher das Römische Reich?« hakte ich treuherzig nach.
»Was seid ihr für bescheuerte Idioten!« rief sie angewidert.
»Nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches, im Zuge des Ersten Weltkriegs, beschloß die Regierung der neuen türkischen Republik, die Schätze zu heben, die jahrhundertelang im riesigen Palast von Topkapi vergraben waren, der früheren Sultansresidenz in Istanbul. Bei der Inventur der Stücke im Jahr 1929 entdeckten der Direktor des Nationalmuseums, ein Halil Sowieso, und ein deutscher Theologe namens Adolf Deissmann eine alte, unvollständige Weltkarte, die auf Gazellenleder gemalt worden war.«
»Ganz offensichtlich hat sie den ganzen Vormittag nichts anderes getan als recherchiert«, bemerkte ein gewisser Jemand, der sich umgehend eine Kopfnuß an seiner roten Rübe einfing. Ich verstummte und duckte mich.
»Wie der Schwachkopf hier dir ja schon erzählt hat«, fuhr Proxi ungerührt fort, »handelte es sich um die Überreste der großen Weltkarte des türkischen Flottenadmirals und berüchtigten Piraten Piri Reis, der sich 1513 als Kartograph betätigt und sie eigenhändig entworfen hat. Die Karte stellte die Britischen Inseln, Spanien, Westafrika, den Atlantik, einen Teil Nordamerikas, Südamerika und die Küste der Antarktis dar. Also genau das, was du auf dieser Kopie siehst.«
Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und suchte auf der Karte nach den Gebieten, die sie genannt hatte. Der Atlantik, der die Mitte der Karte mit seiner hellblauen Farbe ausfüllte, war jedenfalls deutlich zu erkennen, voller Inseln, Schiffchen, Windrosen, Linien . Die Britischen Inseln waren jedoch nirgends zu sehen, aber ich hütete mich, das anzumerken. Rechts konnte ich mühelos Spanien bestaunen und darunter die bauchige Westküste Afrikas, in dessen Innerem so etwas wie ein Elefant abgebildet war, umringt von den Heiligen Drei Königen im Schneidersitz. Nordamerika bestand aus einer undeutlichen Küstenlinie am äußersten linken Rand der angeblichen Gazellenhaut. Es war, als verlöre man die Küstenlinie wegen der Erdrundung aus den Augen. Südamerika dagegen war detailliert eingezeichnet, mit seinen wichtigsten Flüssen, seinen Tieren, der Andenkordillere (und dem Männchen mit der roten Mütze) ... Nur die Südspitze wirkte merkwürdig, denn dort, wo die Magellanstraße den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, machte das Land ohne Unterbrechung eine Kurve in Richtung Osten, als suchte es die westlichste Stelle Afrikas. Ich schloß daraus, daß dies die unzureichend wiedergegebene Küste der Antarktis sein sollte. Nun gut, man konnte sagen, daß Proxi mehr oder weniger recht hatte.
»Kommt dir irgendwas komisch vor?«
»Ja«, sagte ich beherzt und deutete auf die fehlende Magellanstraße. »Hier stimmt was nicht. Außerdem ist Nordamerika schief. Genau, und dieser afrikanische Elefant ist zu dünn, der hat ja fast keinen Bauch, sondern sieht aus wie ein Windhund mit einem Rüssel!«
»Du sagst es, Root«, pflichtete Jabba mir bei. Gegen die gemeinsame Rivalin rotteten wir uns zusammen. »Aber es kommt noch viel dicker. Versuch mal, dich an alles zu erinnern, was du über Pizarro und die Inka weißt, und über die Entdeckung Perus.«
»Verrat ihm doch nicht alles, du Schuft!« schnaubte Proxi.
»Nun sei doch nicht so!« bettelte er.
Während die beiden fortfuhren, sich zu kabbeln, schaute ich mir auf Piri Reis’ Karte Südamerika noch einmal genauer an. Was war daran so seltsam? Humpty Dumpty war nun wirklich kein gewöhnlicher Anblick, aber das Feuer neben ihm war ziemlich gut gelungen, ebenso die
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