Der verlorene Ursprung
aufgeregt zu lesen, ohne die Stimme zu dämpfen. »Du bist tot. Du hast damit gespielt, den Balken von der Tür zu nehmen. Du wirst den Totengräber rufen, noch heute nacht. Die anderen sterben alle überall für dich. Ach, diese Welt wird nicht mehr sichtbar sein für dich! Gesetz, verschlossen mit Schlüssel.« Ich wedelte mit dem Zettel in der Luft. »Das ist es, was mein Bruder hat!«
Ich ließ mich still in einen Sessel fallen. Auch Jabba und Proxi schwiegen. Einige sehr lange Minuten blieben wir mit unseren Gedanken allein. Wir waren nicht verrückt, aber als vernünftig konnte man uns auch nicht gerade bezeichnen. Die Situation war aberwitzig. Und trotzdem schien der phantastische Gedanke, Daniel mit Hilfe jener verfluchten Magie zu heilen, mehr denn je der einzige Ausweg zu sein. Medikamente würden meinem Bruder niemals helfen. Es war kein Kraut gewachsen gegen eine Gehirnprogrammierung, die auf Aymara von den Yatiri niedergeschrieben worden war. Die einzige Hoffnung, sie rückgängig zu machen, bestand darin, dieselbe Sprache zu benutzen, dieselbe Magie oder Hexerei anzuwenden, denselben Zauber oder was auch immer es war, das die Geheimworte der Priester des alten Taipikala an sich hatten. Aus irgendeinem rätselhaften Grund hatte jemand in den magischen Text (der vermutlich von einem der unzähligen Tocapu-Stoffe stammte, die digitalisiert in Daniels Computer gespeichert waren, und der von diesem vermaledeiten JoviLoom in das lateinische Alphabet umgewandelt und von meinem Bruder mehr schlecht als recht übersetzt worden war) einen Fluch eingebaut. Ein Dieb sollte bestraft werden, der etwas gestohlen hatte, das sich hinter einer Tür verbarg . oder unter einem Tor?
»Hey!« schrie ich und sprang auf. »Mir ist was eingefallen!«
Die beiden schauten mich an wie Zombies.
»Daniel hat doch ausschließlich Material gesammelt, das mit Tiahuanaco in Zusammenhang steht, richtig?«
Beide nickten.
»Der Fluch stammt aus Tiahuanaco! Mein Bruder wußte von der Kammer. Er hat schließlich eigens eine Zeichnung vom Sockel des Zeptergotts gemacht, auf der klar und deutlich angegeben ist, wo das Gold der Yatiri mit ihrem gesamten Wissen versteckt sein muß. Und er wird nicht müde, in seinem Delirium zu wiederholen, daß in dieser Kammer das Geheimnis der Macht der Worte verborgen ist. Er hat wirklich die Existenz der Pyramide des Reisenden entdeckt: Die Kammer liegt in einer Pyramide, sagt er, und die Pyramide hat oben eine Tür. Lakaqullu, Leute, Lakaqullu! Er wußte, wie man dorthin gelangen konnte, und als er es herausfand, stieß er auf den Fluch, den Fluch, der die Kammer schützt.«
Proxi zwinkerte und versuchte mitzukommen. »Aber . «, zögerte sie, »warum macht der Fluch uns nichts aus?«
»Weil wir kein Aymara können. Wer den Code nicht kennt, dem kann er auch nichts anhaben.«
»Aber wir haben die Transkription des Aymara-Texts«, beharrte sie. »Und wir haben sie gelesen.«
»Ja, aber ich wiederhole, sie kann uns nichts anhaben, weil wir kein Aymara können. Der Code funktioniert über Klänge, über diese verfluchten natürlichen Klänge. Wir können den Aymara-Text lesen, aber wir würden ihn nie richtig aussprechen. Daniel dagegen schon. Und das hat er getan. Deshalb hat der Fluch ihn getroffen.« »Also .« Jabba überlegte laut: »Also enthält der Code . in Wirklichkeit so eine Art von Virus!«
»Genau! Ein schlafendes Virus, das nur unter bestimmten Bedingungen aktiviert wird. Wie diese Computerviren, die am Jahrestag eines Attentats oder an einem Freitag, den Dreizehnten, anfangen, dir die Festplatte zu löschen. In diesem Fall wird die Programmierung vom Klang ausgelöst, von einem bestimmten Klang, den wir nicht reproduzieren können.«
»Also würde das Virus die Aymara-Muttersprachler befallen oder überhaupt jeden, der das Aymara beherrscht«, vermutete Proxi. »Zum Beispiel auch Marta Torrent, oder?«
Ich zögerte. »Ich weiß es nicht. Es könnte sein. Wenn sie den Fluch hört oder laut liest.«
»Wir sollten es ausprobieren!« schlug Jabba vor. »Los, rufen wir sie an!«
Proxi und ich lächelten.
»Auf jeden Fall steht eins fest, wir müssen nach Tiahuanaco fliegen, um in die Kammer zu kommen«, beschloß ich.
»Aber . bist du verrückt!« Marc schnellte hoch und baute sich vor mir auf. »Ist dir klar, was du da sagst?«
Ich blickte ihn eisig an, bevor ich antwortete. »Mein Bruder wird nicht wieder gesund, wenn wir nicht in diese Kammer eindringen und nach einer Lösung
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