Der verlorene Ursprung
suchen: Das weißt du genausogut wie ich.«
»Und was machen wir, wenn wir da sind?« gab er zurück. »Einen Spaten nehmen und anfangen zu graben? Oh, es tut mir leid, verehrter Herr bolivianischer Wachtmeister, ich wußte nicht, daß das hier eine geschützte Ausgrabungsstätte ist!«
»Hast du vergessen, was in der Chronik über die Yatiri stand?« fragte Proxi ihn.
Jabba war so nervös, daß er sie verständnislos anschaute.
»Nachdem sie den Berg aufgeschüttet hatten, der heute Lakaqullu heißt, mußten sie noch mal in die Kammer zurück. Das gelang ihnen - ich zitiere aus dem Gedächtnis - über einen der beiden verborgenen Gänge, die von geheimen Orten aus zur Pyramide führten. Und als sie wieder herauskamen, fügten sie weitere Schutzschilde hinzu.«
»Der genaue Ausdruck war aber nicht >Schutzschilde««, korrigierte ich.
»Ist doch egal«, knurrte sie. »Ich dachte, ihr seid intelligent.«
»Und du willst, daß wir diese Gänge finden?« fragte Jabba sie ungläubig. »Ich darf dich daran erinnern, daß seitdem viel Gras über die Sache gewachsen ist, und das meine ich nicht nur im übertragenen Sinne.«
Proxi, die bis dahin sitzengeblieben war, stand auf, um sich die Karten von Tiahuanaco genauer anzusehen. »Wißt ihr was? Es ist mein Beruf, Sicherheitslücken in den leistungsstärksten Computerprogrammen aufzuspüren, die es auf dem Markt gibt, einschließlich unserer eigenen. Ich sage nicht, daß ich die Beste bin, aber ich bin sehr gut und weiß, daß es in Taipikala eine Lücke gibt, die ich finden kann. Die Yatiri waren hervorragende Programmierer, aber sie haben ihren Code nicht versteckt, damit er auf ewig verborgen bliebe. Wozu hätten sie sonst ihre Geschichte für die Überlebenden einer zweiten Sintflut in all diese Goldtafeln geritzt?« Sie stemmte die Hände in die Taille und schüttelte entschlossen den Kopf. »Nein, der Eingang zur Kammer existiert, da besteht kein Zweifel. Er ist nur gut versteckt und getarnt, damit er nicht gefunden wird, bevor ihr Inhalt tatsächlich gebraucht wird. Sie haben die Kammer vor Dieben geschützt, aber nicht vor menschlicher Not. Und noch was: Ich bin mir hundertprozentig sicher, daß die Kammer zugänglich ist und der Eingang genau vor unserer Nase liegt. Das Problem ist nur, daß wir ihn nicht sehen.« »Vielleicht liegt es daran, daß wir uns das Sonnentor noch nicht vorgenommen haben?« schlug Jabba vor.
»Vielleicht können wir ihn auch nur finden, wenn wir vor Ort in Tiahuanaco auf die Suche gehen!« gab ich zurück.
Proxis schwarze Augen sprühten förmlich vor Vergnügen, als sie sich zu uns umdrehte. »Los, in die Hände gespuckt! Marc, du suchst alle Fotos vom Sonnentor zusammen, die du finden kannst, und druckst sie in hoher Auflösung aus. Und du, Root, holst dir alle Infos über das Sonnentor und lernst sie auswendig. Ich übernehme den Zeptergott.«
Jabba konnte seine Befriedigung über diese Vorgehensweise nicht verhehlen. Sein Vorschlag hatte gewonnen ... Nur fürs erste, schwor ich mir.
Sekunden später steckte meine Großmutter ihren Kopf diskret durch den Türspalt, um sich zu verabschieden. Diesmal waren wir etwas höflicher und antworteten ihr mit freundlichem, wenn auch geistesabwesendem Lächeln. Hätte ich geahnt, wieviel Zeit bis zu unserem Wiedersehen verstreichen würde, ich wäre mit absoluter Sicherheit aufgestanden, um ihr einen Kuß zu geben und adieu! zu sagen. Aber ich wußte es nicht, und so ging sie, ohne daß ich auch nur den Mund aufmachte. Es war kurz nach sieben, und mein Körper begann zu knarzen wie ein alter Stuhl.
»Warum suchen wir nicht nach einem Dokument, aus dem zumindest indirekt hervorgeht, daß das Sonnentor früher mal in Lakaqullu gestanden haben kann?« fragte Jabba plötzlich.
Proxi lächelte ihn begeistert an: »Gute Idee. Ich mach’s.«
»Grenz die Suche ein!« Jabba stellte sich neben sie, ging in die Hocke und stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf.
»>Tiahuanaco<, >Lakaqullu< und >Tor«
»Mensch, noch mehr! Schreib auch >Sonnentor< dazu und >versetzen<, weil die Yatiri es doch versetzt haben!«
»Okay. Los geht’s.«
Ich konzentrierte mich weiter auf meinen Kram und suchte alles zusammen, was zum Sonnentor zu finden war, und das war nicht wenig.
»Nur fünf Dokumente?« hörte ich Jabba sagen. »Ziemlich mau, oder?«
Proxi antwortete nicht. Ich drehte mich zu ihr um. Sie tippte gerade mit dem Finger auf den Bildschirm, um auf etwas zu zeigen, und ich sah bereits den
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