Der verlorne Sohn
obgleich sie dem Herrn Gerichtsarzt lächerlich erscheint.«
Als sich Zander mit dem Fürsten unterwegs befand, zog er die beiden Fläschchen hervor, betrachtete sie nochmals aufmerksam und meinte dann:»Hier im Wagen auf der Straße ist es heller als in der Zelle. Mir scheint es, als ob dieses Blutwasser eine ganz eigenthümliche Färbung habe. So gesund röthlich sieht Wasser aus, in welchem man frisches, mageres Rindfleisch gewaschen hat. Waschen Sie aber einmal faules Fleisch, dann wird das Wasser ein schmutziges Aussehen erhalten. Ich sehe die Möglichkeit ein, daß ich mich vor diesem Herrn Gerichtsarzt ungeheuer lächerlich mache; aber ich will diese Blamage riskiren. Ich spiele in einer Lotterie, in welcher tausend Nieten gegen einen einzigen Gewinn stehen. Desto größer ist das Glück, wenn ich den Treffer ziehe.«
»Und ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich ein ungewöhnliches Vertrauen zu Ihnen hege. Ihre Kenntnisse sind so bedeutend, wie das Glück groß ist, welches Sie besitzen. Und dieses letztere ist ja nicht das Geringste, was einem Arzte zu wünschen ist. Sie sind ja durch Ihre letzten Curen förmlich berühmt geworden. Wie steht es denn jetzt mit Doctor Holm’s Vater?«
»Wir haben nicht weit hin. Wollten Sie mich vielleicht begleiten, Durchlaucht?« fragte Zander lächelnd.
»Das klingt ja verheißungsvoll!«
»Ja. Ich habe die Electricität in Anwendung gebracht. Es würde mich freuen, Ihnen den Erfolg zeigen zu dürfen.«
»Ich fahre mit. Und wie steht es mit der armen Frau des Theaterdieners Werner?«
»Hm! Wir können ja gleich vom Altmarkte zu ihm fahren. Seine Frau litt keineswegs am Krebse, sondern an einer Gesichtsflechte, welche nur in Folge einer ungeheuer verkehrten Behandlung einen solchen Grad von Gefährlichkeit annehmen konnte. Und dann – – aber ich glaube, daß ich Ihre kostbare Zeit zu sehr in Anspruch nehme!«
»In wiefern? Giebt es noch einen Ort, an den ich mit Ihnen fahren soll?«
»Ja; in eine, nämlich meine Wohnung.«
»Was giebt es da?«
»Da warten nämlich bereits Zwei, welche gar nicht wissen, was sie bei mir sollen, nämlich Marie Bertram und der Mechanikus Fels.«
»Ihr früherer Geliebter?«
»Ja.«
»Was haben Sie mit den Beiden vor?«
»Nun, es versteht sich ganz von selbst, daß ich mich für die Familie Bertram, welche unter Ihrem besonderen Schutze steht, lebhaft interessire. In Folge dessen dachte ich auch an Fels, dessen Mutter als unheilbar Irrsinnige im Bezirkshause war. Ich ging zu ihr und untersuchte sie. Sie war, wie Sie wissen, blind. Ich nahm sie zu mir und habe, ohne ein Wort davon zu sagen, sie operirt.«
»Was! Ist’s möglich! War sie denn heilbar?«
»Ich dachte es. Und heute glaube ich, daß die Operation gelungen ist.«
»Eine Irrsinnige, welche sehen wird!«
»O bitte! Es mag kühn von mir sein, aber ich habe den Gedanken gehabt, daß das wiederzugewinnende Augenlicht vortheilhaft auf den Geist der Kranken wirken könne. Ich will heute die Binde entfernen.«
»Und dazu haben Sie das Liebespaar geladen?«
»Ja. Auch hier spiele ich ein gewagtes Spiel; aber ich sage mir, daß nichts zu verlieren, hingegen aber Alles zu gewinnen sei.«
»Sie sind trotz Ihrer Jugend ein außerordentlicher Mann. Gelingt Ihnen das Wagniß mit den beiden gestorbenen Gefangenen, so dürften Sie sehr leicht in kurzer Zeit Bezirksarzt sein.«
»Möglich, daß man mir es anbieten würde, doch fragt es sich, ob ich acceptire. Also, darf ich hoffen, daß Sie sich mit nach meiner Wohnung verfügen, Durchlaucht?«
»Natürlich! Sogar sehr gern! Hier sind wir auf dem Altmarkte. Also, wollen wir zu Holm? So sage ich es dem Kutscher.«
Der Doctor bejahte und in Folge dessen mußte der Kutscher vor dem betreffenden Hause halten. Sie stiegen die drei Treppen empor und klopften an. Hilda öffnete.
Es sah jetzt in der Wohnung bedeutend freundlicher aus als früher.
Aus der Nebenstube hörten die Eintretenden eine fröhlich lachende, glockenreine Frauenstimme. Holm’s Vater saß am Fenster, durch welches er blickte und – eine lange Pfeife rauchte.
»Der Herr Doctor!« sagte er erfreut, indem er sich von dem Stuhle erhob, und wenn auch noch schwerfällig, aber doch einige Schritte ihm entgegen kam, um ihm die Hand zu geben und ihn willkommen zu heißen.
»Was?« sagte der Fürst. »Ist das der vollständig gelähmte Mann, von dem ich gehört habe?«
»Ja, Herr, der bin ich,« antwortete Holm, vor Glück über das ganze Gesicht lachend.
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