Der verlorne Sohn
sehr laut und unvorsichtig sprachen. Der Freiherr sagte, daß er verrathen und verloren sei, daß er fliehen müsse, aber nicht wisse, wohin sogleich. Da sagte der Andere, er solle seine Tochter schnell holen und mit ihm nach dem Thurme kommen. Dort werde ihn kein Mensch finden.«
»Das ist gut, sehr gut. Er hat die Tochter geholt, wie ich gehört habe, und ist mit ihr fort. Wir müssen nach.«
»So kommen Sie schnell!«
Er wollte fort; aber Hilda Holm ergriff ihn bei der Hand und sagte voller Angst:
»Halt, Herr Oberlieutenant, Sie müssen hier bleiben! Sie sind ja verwundet!«
Man hatte im Flur ein Licht angebrannt. Im Schein desselben, welcher bis vor das Thor drang, sah man das Blut, welches an ihm herniederfloß.
»Verwundet?« fragte er, sich betrachtend. »Wahrhaftig, das habe ich gar nicht bemerkt. Aber gefährlich kann es nicht sein, sonst würde ich es fühlen. Ich gehe also mit!«
»Nein, nein!« sagte das schöne Mädchen. »Ich lasse Sie nicht fort. Sie bleiben! Sie müssen verbunden werden!«
»Ja, Herr Lieutenant, meine Schwester hat recht,« sagte Holm. »Wir werden die Flüchtigen auch ohne Sie bekommen. Sehen Sie nach Ihrer Wunde. Ist sie nicht gefährlich, dann um so besser. In diesem Falle können wir Ihnen die beiden Gefangenen anvertrauen. Hier sind die Schlüssel!«
Er instruirte ihn und dann eilte er mit Robert davon.
»Na, so muß ich den Damen gehorchen!« sagte Hagenau. »Bitte, kommen Sie herein. Ich werde mich der zwei Gefangenen vergewissern. Das ist zunächst die Hauptsache.«
Er trat mit den beiden Damen in den Schloßflur. Oben an der Treppe stand die Dienerschaft. Diese Leute kannten ihn als den Sohn des benachbarten Grundbesitzers. Sie wußten auch, daß er Offizier sei und hatten Respect vor ihm. Seine militärische Umsicht machte sich auch sofort geltend, denn er befahl einem der Leute:»Du wirst mich kennen und mir also gehorchen. Es sind hier Dinge geschehen, die Euch gefährlich werden können, wenn Ihr nicht sofort und genau thut, was ich von Euch verlange. Eile in das Dorf und wecke den Ortsvorsteher. Er soll die Männer und die Burschen aus den Betten holen lassen und sich möglichst rasch hier bei mir einfinden. Wer eine Waffe hat, soll sie mitbringen, denn die Leute sind bestimmt, hier im Schlosse und wohl auch noch anderswo Wache zu stehen.«
Der Mann eilte schleunigst fort, um dem Befehle Gehorsam zu leisten. Die Köchin wurde beauftragt, Leinenzeug zum Verband herbeizuholen und die Anderen mußten mit in das Vorzimmer kommen, wo der Diener Daniel lag.
Dieser war so fest gebunden, daß er kein Glied zu rühren vermochte. Der Goldarbeiter Jacob Simeon wurde herbeigeholt. Man mußte ihn tragen, da ihm nicht nur die Arme, sondern auch die Beine gefesselt waren. Beide Gefangenen legte man nebeneinander auf die Dielen. Die Dienerschaft erhielt die strenge Weisung, bei ihnen zu bleiben und sie streng zu bewachen. Erst jetzt dachte Hagenau an sich. Die Köchin hatte das Verbandzeug gebracht und er begab sich mit Ellen und Hilda in das Nebenzimmer, um sich von ihnen verbinden zu lassen.
In solchen Fällen, wo es sich um eine vielleicht schwere, ja lebensgefährliche Verwundung handelt, ist man nicht prüde. Die sonst gewöhnliche Zurückhaltung ist da nicht an ihrem Platze, und so entblößte der Oberlieutenant ohne alle Scheu die betreffende Körperstelle.
Die Wunde blutete stark. Flur, Treppe und Vorzimmer, wo er gewesen war, zeigten eine blutige Fährte, und da, wo er jetzt stand, bildete sich eine große Blutlache. Hilda hatte alle Farbe aus ihren Wangen verloren. Sie zeigte größere Besorgniß um den Verwundeten, während die erfahrene und practische Amerikanerin mehr Geschick in der Behandlung der Wunde an den Tag legte.
»Leise, leise, behutsam!« bat Hilde die Freundin. »Es muß ihm ja außerordentlich wehe thun.«
»Pah!« antwortete Hagenau. »Es ist ein kleiner Aderlaß, gut für Schnupfen und Kopfweh. Ich glaube, der kleine Stich wird mir nur nützlich sein.«
»O,« antwortete Ellen, »der Stich ist nicht so unbedenklich, wie Sie zu meinen scheinen. Er ist sehr tief.«
»Mag sein. Aber ins Leben ist er nicht gedrungen.«
»Wollen es hoffen. Wir werden sofort nach einem Arzte senden müssen.«
»Bitte, nicht sofort. Wir wissen jetzt gar nicht, wo der Arzt mich treffen wird, ob noch hier oder daheim.«
»Sie können doch unmöglich fort von hier!«
»Jetzt noch nicht, da ich ja noch gebraucht werde, später aber will ich berufeneren Personen
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