Der verlorne Sohn
Anfangsbuchstaben von den beiden Vornamen Ihrer Eltern.«
»Nein,« sagte Robert. »Es ist kein
u
, sondern ein
v
.«
»Da, bitte, sehen Sie selbst!«
Er gab ihm die Kette zurück. Robert betrachtete sie genauer, als es bei dem Juden geschehen war.
»Das ist meine Kette nicht,« behauptete er dann. »Das ist eine andere, die allerdings der meinigen ganz ähnlich sieht. Und das Herz ist ganz täuschend nachgemacht.«
»Wirklich, wirklich?« fragte Alma. »Also eine Fälschung? Wer ist es, der einen solchen Betrug unternommen hat?«
»Der Jude Salomon muß es gewesen sein. Der Vater und die Geschwister hungerten, und ich ging zu dem Juden, um die Kette zu versetzen. Es war das einzige Mittel, den Hunger zu stillen.«
»Und wie alt sind Sie, wie alt?« fragte sie, indem sie ihre Erregung kaum zu meistern vermochte.
»Genau weiß ich das nicht. Zwanzig Jahre habe ich hinter mir.«
»Es stimmt! Es stimmt! Durchlaucht, was sagen Sie dazu. Da sendet uns der Herrgott einen –«
Der Fürst winkte abwehrend und unterbrach sie schnell:
»Bitte, bitte, meine Gnädige! Wir stehen hier vor einer Lösung und doch wieder vor einem Räthsel. Geben wir uns also noch nicht einer vielleicht ungerechtfertigten Freude hin!«
»O, doch! Wollen wir es ihm mittheilen?«
»Noch nicht! Seien wir zunächst vorsichtig! Herr Bertram, sind Sie von dem Juden nach Ihrer Abstammung gefragt worden?«
»Ja.«
Er erzählte das Gespräch, soweit er sich auf dasselbe besinnen konnte, und dann auch die letzte Unterredung, als er sein Pfand wieder eingelöst hatte. Dann fragte der Fürst:
»Kennen Sie den Grund, welcher den Juden bewogen haben könnte, die Fälschung der Krone und der Buchstaben vorzunehmen?«
»Nein. Ich kann mir keinen Grund denken!«
»Nun, dann kommen Sie. Es gilt, keinen Augenblick zu verlieren. Wir werden sofort zu diesem Salomon Levi fahren!«
Er nahm Bertram, der das Verhalten der Beiden gar nicht begreifen konnte, bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Alma rief ihnen noch nach:
»Ja, eilen Sie! Aber kehren Sie dann zu mir zurück, um mir Nachricht zu bringen.«
Und dann, als sich die Thüre hinter den Beiden geschlossen hatte, faltete sie die Hände und flehte wie im Gebete:
»Herr Gott, Du lieber, himmlischer Vater, erbarme Dich meiner! Ist es mein Bruder, an welchem eine so schreckliche Missethat verübt wurde, so wirf Dein helles Licht in das Dunkel, damit mein Herz endlich Frieden finde, Frieden und das Glück, eine Seele zu besitzen, die mein Eigen sein darf!« –
Zweite Abtheilung
Die Sclaven der Arbeit
Erstes Kapitel
Der Kampf um die Liebe
Es war am Sonnabend vor Fastnacht. Draußen, hart am Waldesrande und fast eine halbe Stunde Weges vom kleinen Städtchen entfernt, erhob sich auf hoher Halde ein finsterer, rußgeschwärzter Gebäudecomplex, in dessen Mitte eine hohe, rauchende Esse zum Himmel ragte. Das war ein Kohlenbergwerk, welches durch einen eingleisigen Schienenstrang mit dem Bahnhofe der über eine Stunde entfernten größeren Stadt in Verbindung stand.
Eine Glocke läutete, zum Zeichen, daß die Schicht zu Ende sei. Im Förderhause wurde der Personenfahrstuhl mit der Maschine gekoppelt, und bald entstiegen dem schwarzen Schlunde eine Menge dunkler, rußgeschwärzter Gestalten, welche von Mitternacht an bis jetzt in der gefährlichen Tiefe im Schweiße ihres Angesichts gearbeitet hatten, um an der Oberwelt ihr armes, anspruchsloses Leben fristen zu können. Andere fuhren an ihrer Stelle nieder.
In jener Gegend wohnen gottesfürchtige Leute. Die dem Schachte Entstiegenen sammelten sich um den Steiger und falteten auf ein von ihm gegebenes Zeichen die Hände. Er sprach ein kurzes, aufrichtig gemeintes Dankgebet, daß Gott sie während der zwölfstündigen Schicht beschützt hatte, und dann sangen sie nach der bekannten Melodie die Strophe:
»Was Gott thut, das ist wohl gethan;
So wollen wir stets schließen.
Ist gleich bei uns kein Kanaan,
Wo Milch und Honig fließen,
So wird von Gott doch unser Brod
Zur Gnüge Dem bescheeret,
Der ihm traut und ihn ehret.«
Als der fromme Gesang beendet war, begaben sich die Leute zum Zahlmeister, um ihren Wochenlohn in Empfang zu nehmen. In seine Expedition durfte man nur einzeln eintreten. Durch die Anwesenheit Mehrerer hätte ihm der Raum ja beschmutzt werden können. Er war ein wortkarger, menschenfeindlicher Mann, von dem noch Niemand eine freundliche Sylbe gehört hatte. Er pflegte jedem Eintretenden den kargen Lohn schweigend hin zu
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