Der verlorne Sohn
Unterstützung? Was heißt das?«
Der Schreiber zuckte die Achseln und sagte:
»Verlangen Sie das wirklich zu wissen, Herr Seidelmann?«
»Natürlich! Ich begreife gar nicht, wie meine Person in Beziehung zu einer Unterstützung für Ihre Tochter gebracht werden könnte!«
»Nun, so muß ich allerdings sprechen. Ich bin Ihr Untergebener und verdiene mir bei Ihnen mein Brod, wenn es auch mehr als spärlich ist. Ich bin Ihnen Achtung schuldig und zolle sie Ihnen auch gern, aber dennoch muß ich sagen, daß ich es geradezu unbegreiflich finde, daß Sie so thun können, als wüßten Sie nichts.«
»Den Teufel weiß ich! Ich verlange Aufklärung! Aus Ihren Andeutungen kann ich mir höchstens ersehen, daß ich jedenfalls das Opfer eines schlechten Streiches, einer Mystification, oder sonst einer Dummheit werden soll.«
»Es handelt sich hier weder um eine Mystification noch um eine Dummheit, aber allerdings um einen schlechten Streich. Sie entsinnen sich doch wohl, daß voriges Frühjahr Ihr Dienstmädchen krank geworden war?«
»Ja. Wir schickten Sie in das Krankenhaus, in welchem sie geheilt wurde.«
»Sie war daselbst eine Woche in Verpflegung. Sie machten mir damals den Vorschlag, Ihnen während dieser Zeit meine Tochter zur Aushilfe zu geben.«
»Das war eine Gefälligkeit von unserer Seite, denn Ihre Tochter hat für diese Woche anderthalb Gulden erhalten, ein wahrer Fürstenlohn! Das würde für das ganze Jahr achtundsiebzig Gulden ergeben. Welches Gesinde verdient sich so viel?«
»Streiten wir nicht darüber! Sie wissen jedenfalls auch, daß in der letzten Nacht, in welcher meine Tochter in Ihrem Hause schlief, sich Jemand in ihre Kammer schlich?«
»Ich soll das wissen? Es hat sich Jemand in ihre Kammer geschlichen? Ah, das wirft allerdings ein höchst eigenthümliches Licht auf Ihr Fräulein! Sie hat also einen Liebhaber gehabt, den sie mit in ihre Kammer genommen hat? Das ist interessant, sehr Interessant!«
Man hätte den scharfen Blitz, welcher jetzt durch die Brille des Schreibers zuckte, den matten Augen des Letzteren kaum zugetraut. Eine zornige Röthe färbte sein hageres, abgehärmtes Gesicht, indem er sagte:
»Ich bitte Sie sehr, die Ehre meines Kindes nicht anzutasten. Ich weiß ganz genau, daß meine Tochter niemals einen Liebhaber gehabt hat, am Allerwenigsten aber einen, den sie mit in die Kammer genommen hätte. Derjenige, welcher es gewesen ist, hat die Thür hinter sich verschlossen und dann dem Mädchen, welches vor Ermüdung in tiefem Schlaf gelegen hat, Gewalt angethan. Sie hat sich nach Kräften gewehrt; sie hat auch um Hilfe gerufen; aber die Kammer liegt unter dem Dache des Hintergebäudes, und Niemand hat ihr Rufen gehört.«
»Ah, das ist ja ein wirkliches Abenteuer! Wer ist denn der Glückliche gewesen?«
»Der Sohn des Hauses!«
Seidelmann brachte es fertig, seinem Gesichte einen ganz erstaunten Ausdruck zu geben.
»Was?« rief er. »Der Sohn des Hauses soll es gewesen sein?«
»Ja.«
»Und in unserem Hause ist es geschehen, behaupten Sie?«
»Ja.«
»Der Sohn dieses Hauses bin ja ich! Wollen Sie etwa damit sagen, daß ich der Thäter gewesen sein soll?«
»Nichts anderes!«
»Himmeldonnerwetter! Was fällt Ihnen ein?«
»Ich sage die Wahrheit!«
»Lügen, nichts als Lügen sind es! Ihre Tochter hat jedenfalls mit einem Burschen geliebelt, der nun, da sich die Folgen zeigen, ihr Nichts zahlen kann oder will. Da soll nun ich vorgeschoben werden. Ich danke! Das ist stark, sehr stark! Und das wagen Sie Ihrem Prinzipal anzuthun, bei dem Sie in Lohn und Brod stehen!«
»Es ist ein Wagniß, aber es muß unternommen werden! Ich wollte, als meine Tochter meiner Frau das betreffende Geständniß machte, Sie polizeilich zur Rechenschaft ziehen lassen. Das Gesetz bestraft ja solche Thaten sehr streng. Aber da ich mein Brod bei Ihnen finde, mein trockenes Brod, so gab mir meine Frau gute Worte, es nicht zu thun. Nun aber hoffe ich, daß Sie das Mädchen nicht im Stiche lassen.«
Fritz Seidelmann stemmte beide Hände in die Hüften, warf den Kopf empor und fragte im impertinentesten Tone, den es nur geben kann:
»Befehlen Sie vielleicht gütigst, daß ich Ihre Tochter heirathe?«
»Das fällt mir gar nicht ein! Ich hoffe jedoch, daß Sie ehrlich genug sein werden, sich des armen, unschuldigen Kindes, welches wir erwarten, anzunehmen.«
»So, so! Weiter nichts?«
»Nein, weiter nichts.«
»Und wenn ich das nicht thue?«
»So werde ich den Weg des Gesetzes betreten
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