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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Also, Herr Seidelmann, beharren Sie auf Ihrer Weigerung?«
    »Ja. Ich kann nicht gegen die Wahrheit! Ich kann mir nicht eine Vaterschaft aufbürden lassen, von der ich nichts weiß!«
    »Gut, so sind wir einstweilen fertig! Aber jetzt wenigstens werden Sie mir erlauben, nach meiner kranken Frau zu sehen.«
    »Sind Sie mit der Arbeit fertig?«
    »Nicht ganz. Ich werde heute Nachmittag noch eine Stunde schreiben.«
    »Das kann mir nicht passen! Wenn Sie fertig sind, können Sie gehen, keine Minute eher!«
    Der Schreiber mußte alle seine Selbstbeherrschung zusammennehmen, um nicht aufzubrausen. Er räusperte sich und sagte dann:
    »Ich werde trotzdem gehen!«
    »Oho! Sie haben zu arbeiten!«
    »Von einer Sonntagsarbeit steht kein Wort in unserem Contracte! Ich habe lange, lange Jahre meine Sonntage hinter Ihrem Pulte zugebracht, ohne einen einzigen Kreuzer oder nur ein einziges anerkennendes Wort dafür zu erhalten! Ich wollte Ihnen ein treuer Diener sein. Jetzt ist meine Frau todtkrank; ich bin ihr Mann und der Vater ihrer Kinder; sie muß mir lieber sein als Ihr Pult! Ich gehe!«
    Er wendete sich um, griff nach der Mütze und ging.
    »Verdammt!« brummte Seidelmann. »Der Hund fängt an, zu murren! Dieser Pöbel glaubt wirklich, uns den Stuhl vor die Thür stellen zu können! Wenn den Hungerleider der Hafer sticht, so wird man ihm den Brodkorb höher hängen müssen!«
    Da ging die Thüre auf, und der fromme Schuster trat ein.
    »Höre Fritz, das ist ja ein unverschämter Kerl!« sagte er.
    »Wer?«
    »Euer Schreiber. Er rannte an mir vorbei, ohne mich zu grüßen!«
    »Das ist sonst seine Art und Weise nicht.«
    »Er sagte zwar ›Adieu‹, aber die Mütze behielt der Mensch auf dem Schädel!«
    »Er hat das vergessen. Er war, hm, er war in der Hitze!«
    »In der Hitze? Bei dieser Kälte? Hast Du ihm eingeheizt?«
    »Freilich! Eigentlich aber wollte er mir einheizen.«
    »Wirklich? Beginnen die Kinder dieser Welt sich auch in dieser abgeschiedenen Gebirgsgegend zu regen? Ist der Antichrist auch bereits hier eingezogen? Vergessen auch hier die in die Christenheit aufgenommenen Seelen, was zu ihrem Frieden dient?«
    »Freilich! Diese Seelen werden zu üppig. Sie wollen indische Vogelnester und Caviarsemmeln essen. Der Schreiber verlangte, denke Dir nur, Gehaltszulage!«
    »Ziehe ihm zehn Gulden monatlich ab!«
    »Und sodann ist er ohne meine Erlaubniß, sogar gegen meinen Befehl fortgegangen, noch ehe er mit seiner Arbeit fertig geworden ist.«
    »Warum?«
    »Er sagt, seine Frau sei krank.«
    »Gott wird ihr helfen, darum mußte er bei der Arbeit bleiben.«
    »Er sagte, er sei zur Sonntagsarbeit nicht verpflichtet.«
    »So kennt er nicht die Gebote der heiligen Schrift. Der Heiland sagt, daß man den Ochsen und den Esel, welcher des Sonntags in eine Grube fällt, herausziehen soll. Mit diesen Worten gebietet und heiligt er die Sonntagsarbeit. Wäre ich hier gewesen, so hätte ich diesem Schreiber den Standpunkt klar gemacht. Er hätte sich auf keinen Fall entfernen dürfen.«
    Fritz hatte beide Hände zusammengelegt und schritt unruhig im Comptoir auf und ab. Jetzt blieb er vor dem Heiligen stehen und sagte:
    »Onkel August, Du bist ein gewiefter, spitzfindiger Kerl. Du hast schon Manches glatt gemacht, was bei anderen nicht eben werden wollte. Ich muß Dich um einen guten Rath ersuchen.«
    »Sprich, lieber Fritz! Du machst ein ganz ungewöhnliches Gesicht. Ich hoffe nicht, daß Dir etwas Schlimmes widerfahren ist!«
    »Und doch ist es so! Ich befinde mich in der Klemme; ich bin in eine schauderhafte Verlegenheit gerathen!«
    »Das klingt ja wirklich schlimm! Heraus damit, wenn Du meinst, daß mein Rath Dir nützen kann!«
    »Jawohl, heraus muß es! Mit dem Vater mag ich vorerst nicht darüber sprechen. Es ist eine miserabel discretionelle Sache. Erinnerst Du Dich des hübschen Dienstmädchens, welches bei Deinem letzten Besuche zu Ostern bei uns war?«
    »Du meinst das kleine, bildsaubere Ding mit dem schwarzlockigen Haar?«
    »Ja.«
    »Die war allerdings zum Anbeißen. Ich bin ein Diener der Seligkeit; aber ich versage dem Schöpfer niemals meine Bewunderung, wenn ich eines seiner Meisterwerke erblicke.«
    »Nun, ich bewunderte damals das Werk mehr als den Schöpfer.«
    »Das war nicht christlich von Dir. Ich ahne, daß Du nicht bei der bloßen Bewunderung stehengeblieben bist.«
    »Allerdings nicht! Ich wollte das Mädchen haben; aber sie war verteufelt spröde! Sie ließ sich nicht angreifen!«
    »Das war

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