Der verlorne Sohn
ausnahmsweise in persönliche Gefahr begeben darf.«
»Aber Punkt zwei Uhr werden Ihre Leute im Haingrunde sein?«
»Das versteht sich ganz von selbst. In solchen Angelegenheiten ist Pünktlichkeit noch viel mehr die Hauptsache als bei jedem anderen Geschäfte. Also, machen Sie Ihre Sache gut! Adieu!«
Sie reichten sich die Hände, und Fritz entfernte sich, um sich nach dem Gerichtsamte zu begeben. Er meldete sich zum Staatsanwalte, und da dieser ihn kannte und auch für den Augenblick nicht nothwendig beschäftigt war, so wurde er sogleich vorgelassen.
»Herr Seidelmann!« sagte der Beamte. »Willkommen! Wie kommt es, daß Sie sich einmal nach hier verirren?«
»Ich komme eines guten Rathes wegen, den ich mir von Ihnen erbitten möchte.«
»Hm! Ich bin Ihnen natürlich sehr gern gefällig; aber ich habe auch meine bestimmten Befugnisse. Vielleicht muß ich Sie an einen Advokaten verweisen.«
»Ich glaube, daß die Angelegenheit, welche mich hierher führt, mit Ihren Befugnissen harmonirt.«
»Wirklich? Dann nehmen Sie Platz und sprechen Sie!«
Seidelmann nahm auf dem Stuhle, welcher ihm hingeschoben wurde, Platz. Er räusperte sich; er wußte für den Augenblick nicht, wie er beginnen solle. Darum meinte der Staatsanwalt lächelnd: »Ist die Sache eine so schwierige?«
»Ich meine es!«
»Wen oder was betrifft sie?«
»Den – den Waldkönig.«
Seidelmann sprach das Wort nur zögernd aus. Kaum aber war es ausgesprochen, so sprang der Staatsanwalt von seinem Sitze empor und fragte: »Den Waldkönig? Höre ich recht?«
»Ja, den Waldkönig!«
»So sprechen Sie; sprechen Sie! Machen Sie schnell!«
Seidelmann griff in die Tasche, nahm den Brief heraus und überreichte ihn dem Beamten!
»Bitte, lesen Sie!« sagte er.
Der Staatsanwalt nahm das Papier in Empfang und las die wenigen Zeilen. Sein Gesicht nahm den Ausdruck der allergrößten Spannung an. Als er fertig war, warf er einen ernsten, forschenden Blick auf Fritz und sagte: »Kennen Sie die Wichtigkeit dieses Documentes, mein lieber Herr Seidelmann?«
»Da ich eine Ahnung von der Wichtigkeit hatte, so kam ich zu Ihnen, um Sie um Rath zu fragen.«
»Welchen Rath meinen Sie?«
»Was ich mit dem Briefe thun soll?«
»Sie haben das, was ich Ihnen rathen müßte, bereits gethan, nämlich ihn dem Staatsanwalt zu übergeben.«
»Das ist mir lieb. So habe ich also das Richtige getroffen?«
»Ja. Aber, wie kommen Sie zu diesen Zeilen?«
»Ich sah sie bei meinem Freunde Strauch.«
»Dem hiesigen Kaufmanne?«
»Ja.«
»So hat er den Brief erhalten, nicht Sie?«
»Ja. Er zeigte mir ihn vorhin. Ich rieth ihm, Ihnen das Schreiben zu übergeben; aber er fürchtete sich vor dem Waldkönige. Er meinte, daß er große Gefahr laufe, wenn der König erfahre, daß er Anzeige davon gemacht habe.«
»Hm! Ja! Das ist eben das, was uns so hindernd in den Weg tritt. Gerade Diejenigen, welche uns vortheilhafte Winke geben könnten, unterlassen dies aus Furcht vor der Rache des Pascherkönigs. Aber bitte, erklären Sie mir diesen Brief!«
»Strauch ist Mitglied des Casino –«
»Ah, ich entsinne mich! Sie hatten eine Maskerade im Gasthofe des Nachbarstädtchens.«
»So ist es. Strauch wollte natürlich auch mit theilnehmen, da er aber diesen Brief erhielt, blieb er daheim.«
»Natürlich aus Furcht?«
»Aus Furcht!« nickte Fritz.
»Was aber kann der Pascherkönig für ein Interesse an Strauchs Abwesenheit haben?«
»Hm! Vielleicht kann ich diese Frage beantworten. Zunächst fiel mir, als ich vorhin den Brief sah, die Handschrift desselben auf.«
»Was! Sie kennen vielleicht die Schrift?«
»Sehr gut.«
»Alle Wetter! Das ist prächtig! Schnell, heraus damit!«
»Es ist die Schrift eines meiner Arbeiter.«
»Wie?« fragte der Staatsanwalt, sichtlich enttäuscht. »Einer Ihrer Arbeiter sollte der Waldkönig sein?«
»Warum nicht?«
»Ich habe mir das, aufrichtig gestanden, anders gedacht.«
»O, der Kerl ist pfiffig genug dazu!«
»So? Wirklich?«
»Und unternehmend, verwegen und tollkühn.«
»Wie heißt er?«
»Hauser!«
»Kenne ich nicht. Er ist also Weber?«
»Ja. Er heißt Eduard Hauser und ist im Stillen als ein fleißiger Pascher bekannt, wenn er auch schlau genug ist, dafür zu sorgen, daß man ihm das nicht direct sagen kann.«
»Ist die Familie wohlhabend?«
»Die Leute thun arm. Aber das kennt man ja.«
»Gewiß! Sie thun arm, um den Verdacht von sich abzulenken; aber man lebt in
dulci jubilo
und zieht sich später, wenn man
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