Der verlorne Sohn
Mauer gestiegen, um sich die Beeren zu holen, und da sind nach und nach einige Steine abhanden gekommen. Dort können wir stehen und, von dem Hollunder versteckt, Alles beobachten. Wenn das der Baron wüßte!«
»Sollte das etwa damit zusammenhängen, daß er heute hier angekommen ist und Dich zu sich bestellt hat?«
»Nein. Wo denkst Du hin? Er hat ja gar keine Ahnung. Und in seinem Interesse läge eine Oeffnung des Grabes doch wohl am Allerwenigsten. Na, schlag zu, damit wir fertig werden! Horch! Da kommt er wieder!«
Der Todtengräber kehrte zurück und meldete, daß der Amtmann sich mit seinem Begleiter entfernt habe. Nach kurzer Zeit erhielt er seine Hacke und eilte heim. Er wurde in der beschriebenen Weise von Arndt empfangen und flüchtete sich zu seiner Frau, gegen welche er über die Grobheit des Fremden raisonnirte.
Bald kamen die vier Herren aus der Stube und forderten ihn auf, mit an das Grab zu kommen. Er erinnerte sich an Das, was ihm der Schmied gesagt hatte; darum nahm er allen seinen Muth zusammen und sagte: »Das geht nicht so schnell, wie Sie denken!«
»Ah! Warum nicht?«
»Ich kenne Sie nicht. Wer sind Sie denn eigentlich?«
Arndt legte ihm die Hand auf die Achsel und antwortete:
»Wer ich bin, das wird Ihnen sehr gleichgiltig sein; aber, kennen Sie vielleicht diesen Herrn?«
Er deutete dabei auf den Amtmann, welcher ein gerichtliches Document aus der Tasche zog.
»Nein,« antwortete der Todtengräber.
»Nun, so lesen Sie die Schrift, die er in der Hand hat.«
Der Mann sah das Amtssiegel, buchstabirte die Zeilen zusammen und meinte dann:
»Ja, wenn das so ist, so muß ich gehorchen! Haben Sie die Güte, meine Herren; kommen Sie!«
Arndt hielt, während sie ihm folgten, sein Auge scharf auf ihn gerichtet. Draußen, als sie die ersten Gräber erreichten, hielt er ihn beim Arme und sagte: »Halt, warten Sie einmal! Ehe wir beginnen, gestehen Sie zunächst Ihre Plauderhaftigkeit ein!«
Der Todtengräber warf einen erschrockenen Blick auf den strengen Sprecher und antwortete:
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Herr?«
»Ah, Sie verstellen sich! Sie haben dem Schmiede erzählt, wozu Sie Ihre Hacke schärfen ließen?«
»Kein Wort?«
»Sie lügen!«
Der Mann stammelte in höchster Verlegenheit:
»Ich sage die Wahrheit.«
»Schön! Haben Sie einmal als Angeklagter vor Gericht gestanden?«
»Nein.«
»Nun, so wird es Ihnen jetzt passiren. Ich werde sogleich nach dem Schmiede senden, um sie mit ihm zu confrontiren. Lügen Sie, so stelle ich Sie wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses unter Anklage, und Sie werden nicht nur bestraft, sondern Sie verlieren auch Ihre Stelle!«
»Herrgott!« entfuhr es dem Manne, mit welchem es Arndt jedenfalls nicht so schlimm meinte, als es den Anschein hatte.
»Ja, nun erschrecken Sie! Ich würde vielleicht nachsichtig sein, wenn Sie aufrichtig sprechen wollten.«
»Ich versichere, daß ich – habe – daß ich bin –«
»Unsinn! Schwatzen Sie nicht! Wir haben hier nicht Zeit, Ihre Unwahrheiten anzuhören. Soll ich Sie etwa arretiren lassen? Heraus mit der Wahrheit!«
Der Todtengräber befand sich in der schauderhaftesten Verlegenheit. Arretirt werden, bestraft werden, seine Stelle verlieren – das wollte er nicht. Er stammelte: »Ich habe es nicht böse gemeint!«
»Ah! So! Also geschwatzt?«
»Er wußte es schon!«
»Das heißt, er schlug auf den Strauch?«
»Nein, er wußte es wirklich!«
»Pah! Er war gescheidter als Sie; das ist Alles. Was haben Sie ihm erzählt?«
»Daß ein Grab geöffnet werden soll.«
»Auch welches?«
»Ja.«
»War sein Sohn dabei?«
»Sie waren Beide in der Schmiede.«
»Sagten Sie nicht vorhin, daß das Feuer beinahe ausgegangen gewesen sei?«
»Ja; sie wollten aufhören.«
Ueber das Gesicht Arndt’s blitzte es wie ein heller Gedanke. Er warf einen raschen, forschenden Blick über die vier Kirchhofsmauern. Dieser Blick blieb an der Lücke, von welcher die beiden Schmiede gesprochen hatten, haften. Dann wendete er sich an den Richter: »Herr Amtmann, ich werde mich jetzt dort unter jene Lücke legen.«
»Ah, warum?«
»Das werde ich Ihnen später erklären. Jetzt giebt es keine Zeit dazu. Ich bitte Sie, die Arbeit beginnen zu lassen und während derselben keinen Blick nach der Stelle, an welcher ich mich befinde, zu werfen.«
»Aber ich frage dennoch, warum?«
»Ich kann es nicht sagen, ich habe keine Zeit dazu. Also, meine Herren, die Richtung, in welcher ich liege, lassen Sie ganz unbeachtet. Sie
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