Der verlorne Sohn
Ende zu sein. Da hörte Arndt einen leisen Ruf des Schreckens. Nämlich der junge Schmied sagte: »Donnerwetter! Schau, da drüben!«
Und nach einem kurzen Augenblicke antwortete sein Vater:
»Das ist verflucht! Kommen die Jungens Holz lesen bei diesem Schnee. Wenn sie uns sehen!«
»Wir müssen fort. Sie kommen gerade auf uns zu!«
»Höchst fatal! Gerade jetzt, wo wir den Fremden zu sehen bekommen! Aber die Buben haben wirklich die gerade Richtung auf uns zu, und sehen lassen dürfen wir uns nicht.«
»Jammerschade! Aber es geht nicht anders. Also fort! Da rechts zwischen die Büsche hindurch!«
Arndt hörte den Schnee knirschen. Er erhob sich, hielt das Auge vorsichtig, so daß sein Kopf von draußen nicht gesehen werden konnte, an die erwähnte Mauerbresche und erblickte auf der einen Seite die beiden sich fortschleichenden Männer und auf der anderen drei Knaben, Kinder armer Leute.
Sie waren beschäftigt, sogenanntes Leseholz aus dem Schnee hervor zu suchen und zu sammeln, und es hatte wirklich den Anschein, daß sie näher kommen würden.
Jetzt war es genug. Er begab sich nach dem Grabe, jedoch nicht in gerader Richtung, sondern auf einem Umwege, so daß von der Mauer aus seine Fußtapfen nicht gesehen werden konnten. Er war ein vorsichtiger Mann und hielt es immerhin für möglich, daß die Schmiede nach der Entfernung der Knaben zurückkommen könnten.
»Jetzt aber nun erklären Sie mir, warum Sie sich versteckten!« empfing ihn der Amtmann.
»Später!« antwortete er, indem er auf den Todtengräber winkte. »Wir sind nicht unter uns.«
»Ah ja! Ich bin neugierig.«
»Wie weit sind wir hier?«
»Sogleich!« antwortete der Todtengräber. »Da kommt schon Holz. Es ist schneller gegangen, als ich dachte. Die Kindergräber sind glücklicher Weise nicht tief.«
Noch einige Spatenstiche, und dann war der kleine Sarg blosgelegt. Man konnte ihn zwischen den ausgebreiteten Beinen des Todtengräbers, welcher unten im Grabe stand, sehen.
Er deutete erstaunt auf den Sarg und sagte:
»Nicht verfault in dieser langen Zeit! Das Holz muß außerordentlich harzig gewesen sein.«
»Und es hat sich keine Leiche darin befunden, wie ich denke,« fügte Arndt hinzu. »Sonst wäre er dennoch schon in Moder verwandelt. Oeffnen Sie!«
Das Holz war aber doch so morsch, daß es in der Hand des Todtengräbers zerbrach. Der Deckel wurde entfernt, und nun zeigte es sich, daß der Sarg wirklich leer war.
Ein Ruf des Erstaunens erscholl aus dem Munde des Amtmannes und des Schreibers.
»Ich dachte es!« bemerkte Arndt einfach.
»Ja,« bemerkte der Förster, »es ist geradezu unbegreiflich: Was dieser Mensch sich denkt, das trifft stets zu. Und wenn er einmal sagen würde, daß mein Bärbchen seine Schwiegertochter sei, so verwettete ich meinen Kopf, daß sie es auch wirklich ist. Dieser Vetter ist rein allwissend!«
»Aber wie ist das zugegangen?« fragte der Richter. »Sie müssen gewisse Haltepunkte haben, Herr!«
»Die habe ich allerdings. Ich werde mir das Vergnügen machen, sie Ihnen später noch mitzutheilen. Für jetzt aber ist die Hauptsache: Meine Herren, haben Sie sich überzeugt, daß dieses Grab keine Leiche enthält?«
»Ja, vollständig, jawohl,« lautete die mehrstimmige Antwort rundum.
»Sind Sie bereit, das zu beschwören?«
Wieder ein lautes Ja.
»So werden wir nachher drin in der Stube das Protocoll anfertigen. Vorher aber mag der Todtengräber das Grab wieder zuwerfen, doch auch den Deckel möglichst behutsam wieder auflegen.«
»Das kann er ganz allein thun,« meinte der Amtmann.
»Nein! Ich habe meine Gründe, Sie zu bitten, hier zu bleiben, bis er mit der Arbeit fertig ist.«
»Warum?«
»Weil ich überzeugt bin, daß man heute Nacht kommen wird, um uns einen Streich zu spielen, indem man eine Kindesleiche in das Grab escamotirt.«
Der Todtengräber hatte diese Worte auch gehört. Er riß den Mund auf, als hätte er den Kinnbackenkrampf. Auch die Anderen waren von demselben Erstaunen ergriffen.
»Herr, allen Respect vor Ihrem Scharfsinne,« sagte der Amtmann; »aber vor zwanzig Jahren eine Leiche hier fortgestohlen und heute eine wiederbringen – es scheint allerdings, daß Sie allwissend sind.«
»Das ist er, das ist er!« bestätigte der Förster. »Und wenn er jetzt sagt, daß wir da in dem nächsten Grabe einen Tragkorb voll Apfelsinen finden, so schwöre ich Stein und Bein, daß es so ist. Also zuschütten, mein Allerwerthester! Ich helfe mit.«
Bei der vereinigten Anstrengung
Weitere Kostenlose Bücher