Der verlorne Sohn
Er bemerkte jetzt ja noch viel deutlicher als bisher, daß dieser vermeintliche Verwandte ein ganzer Kerl sein müsse.
»Donnerwetter!« dachte er im Stillen. »Der Kerl thut ganz so, als ob er Hahn im Korbe sei. Einen Amtmann auf diese Weise abzukanzeln, dazu gehört schon Etwas!«
Der Beamte seinerseits fand keine Worte. Er mußte freilich zugeben, daß er in der vorliegenden Angelegenheit sich nach Arndt zu richten habe; aber er sah doch nicht ein, warum er einen so scharfen Verweis hinnehmen müsse.
»Sie sprechen von einem bedeutenden Fehler,« meinte er endlich. »Bitte, wollen Sie die Güte haben, mir nachzuweisen, daß ein solcher in Wirklichkeit von mir begangen worden ist?«
»Ich habe nicht geglaubt, daß ein solcher Nachweis wirklich nothwendig ist. Die Ausgrabung der Leiche sollte ja, wie schon wiederholt erwähnt wurde, im Geheimen stattfinden.«
»Das wird sie ja auch!«
»Meinen Sie? Ah! Das möchte ich beinahe naiv nennen! Sie waren, wie Sie schon sagten, noch niemals hier?«
»Nein.«
»Desto mehr wird Ihre Anwesenheit auffallen.«
»Aber man wird nicht wissen, weshalb ich anwesend bin.«
»Man wird es erfahren, weil man neugierig sein wird.«
»Nun, wird das so großen Schaden machen?«
»Einen Schaden, der wohl nie wieder gut zu machen sein wird, Herr Amtmann!«
»Hm! Darf ich um die Erklärung bitten?«
»Sie liegt so nahe, daß ich mich sehr wundere, um sie angegangen zu werden. Wir exhumiren, um einem vermuthlichen Verbrechen auf die Spur zu kommen. Wo ist das Verbrechen geschehen?«
»Hier.«
»Und wo wird sich der Thäter befinden, falls er noch lebt, Herr Amtmann?«
»Vielleicht auch hier.«
»Schön! Dieser Mann erfährt, was wir thun; er wird wissen, welches Grab wir öffnen; er sieht, daß es dasjenige ist, welches mit seiner That im Zusammenhange steht; diese That muß also verrathen, entdeckt worden sein; er ist gewarnt, er fühlt sich unsicher –«
»Hm! Verflucht! Daran habe ich nicht gedacht!« sagte der Amtmann, der sich jetzt sehr verlegen zeigte.
»Aber ich! Und darum bat ich Sie, sich nicht sehen zu lassen!«
»Vielleicht läßt es sich wieder gut machen, indem wir den Thäter festnehmen.«
»Ah! Wie wollen Sie das anfangen? Kennen Sie ihn?«
»Leider nein!«
»Also! Wir wollen heute feststellen, daß die That geschehen ist; aber die Person ist noch zu suchen. Ich habe Ihnen mitgetheilt, daß die Angelegenheit mit der freiherrlichen Familie von Helfenstein in Beziehung zu bringen sei. Sie mußten daraus schließen, daß wir es nicht mit gewöhnlichen Verhältnissen und Personen zu thun haben werden, und darum war Geheimniß doppelt und zehnfach geboten. Hier kommt ein Herr. Ist er Ihr Begleiter?«
»Ja, der Amtsschreiber Reichelt.«
Der Betreffende war eingetreten und grüßte höflich. Arndt fragte ihn scharf:
»Ist der Kaffee gut bekommen?«
Der Mann kannte den Grund dieser Frage nicht und antwortete ganz verdutzt:
»Ja, sehr gut!«
»Na, das freut mich! Voraussichtlich wird er mir desto schlechter bekommen! Doch, Sie können ja nichts dafür, daß ich lieber friere als mich in meinen Obliegenheiten irre machen lasse. Wenn nur nicht, um die Sache noch schlimmer zu machen, auch der Todtengräber davon gelaufen wäre!«
Die Frau dieses Letzteren hörte das nicht. Es war ihr in der Nähe der Herren doch etwas schwül geworden, und darum hatte sie das Zimmer verlassen.
Der Amtmann freute sich darüber, jetzt Einen zu haben, auf den er den Zorn Arndt’s leiten konnte. Er fragte: »Fortgelaufen? Wohin?«
»Zum Schmiede.«
»Auch in die Schänke also? Warum?«
»Um seine Spitzhacke schärfen zu lassen.«
»Sie hätten ihn nicht fortlassen sollen.«
»Er ist gegangen, ohne mir von seinem Vorhaben ein Wort zu sagen. Uebrigens habe ich ihm glücklicher Weise vorher die größte Verschwiegenheit eingeschärft.«
»Nun, so wird er hoffentlich wohl das Plaudern unterlassen.«
»Meinen Sie? Da kennen Sie die Bewohner solcher kleinen Orte nicht. Hier weiß ein Jeder ganz genau, was der Andere thut und treibt; man lebt, so zu sagen, in Familie; man kennt keine Geheimthuerei, und wenn ja einmal Jemand irgend Etwas verheimlichen will, so gelingt es ihm nicht. Sie Beide waren beim Schmiede; jetzt kommt auch der Todtengräber zu ihm; da ist die Klatschgevatterei sofort fertig. Und das Schlimmste dabei ist –«
Er hielt inne und blickte sich vorsichtig um.
»Wohin ist die Frau?« erkundigte er sich.
»Ich höre sie draußen Holz hacken,« antwortete der
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