Der verlorne Sohn
griff er zu einer Zeitung und gab sich den Anschein, als ob er ganz in die Lectüre vertieft sei.
In diesem Zimmer befand sich jetzt außer ihm und der einen Kellnerin kein Mensch, da der Wirth sich zurückgezogen hatte. Es herrschte tiefe Stille. Desto deutlicher war der Lärm zu hören, welcher aus dem Nebenzimmer drang. Pausen des tiefsten Schweigens wechselten mit lauten, jubelnden oder ärgerlichen Ausrufungen. Grimmige Flüche erklangen zuweilen, begleitet von höhnischem Gelächter.
So verging fast über eine Stunde, da rief eine laute, zornige Stimme:
»Verloren! Die letzten tausend Gulden jetzt!«
Wieder war es still. Eine Stimme sagte:
»Sechzehn geworfen! Jetzt, Scharfenberg!«
Nach einer kurzen Pause erklangen abermals laute Rufe. Der Fürst hörte sagen:
»Zwölf geworfen, Scharfenberg: zwei, vier und sechs. Die tausend Gulden sind futsch!«
»Hole Euch der Teufel! Ich gehe nach Hause.«
Der Lieutenant riß die Thür auf und trat heraus. Sein hochrothes Gesicht und der glühende Blick verriethen die Aufregung, in welcher er sich befand. Niemand folgte ihm. Er machte die Thür wieder hinter sich zu. Als er den Fürsten erblickte, stutzte er und wendete sich fragend an die Kellnerin: »Ein Fremder! Wer hat ihn hereingelassen?«
Da erhob sich der Fürst und antwortete an ihrer Stelle:
»Gestatten Sie mir, Ihnen das selbst zu sagen. Bleiben Sie hier oder gehen Sie nach Hause?«
»Das Letztere.«
»Dann bitte ich um die Erlaubniß, Sie zu begleiten.«
»Warum?«
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
»In dieser Stunde? Worüber?«
»Ich werde Ihnen diese Auskunft unter vier Augen geben.«
»Gut! Hoffentlich ist der Gegenstand so wichtig, daß er Ihre so ungewöhnliche Maßregel entschuldigt!«
»Ganz gewiß.«
»So kommen Sie!«
Der Fürst bezahlte, und die Beiden gingen. Unten an der Thür des erleuchteten Flures blieb Scharfenberg stehen und fragte: »Nun? Was haben Sie mir zu sagen?«
Er schien keine Lust zu haben, mit dem Fürsten, der ihm wegen der Verkleidung unbekannt war, weiter zu gehen.
»Bitte, gehen wir! Sie dürfen sich mir getrost anvertrauen. Ich bin ein Cavalier wie Sie.«
Bei diesen Worten schritt er langsam weiter, und der Officier folgte ihm nothgedrungen, fragte aber:
»Ihr Name?«
»Man nennt mich den Fürsten des Elendes.«
»Alle Teufel!«
»Sie erschrecken?«
»Nein. Ich wüßte nicht, warum! Ich nehme natürlich an, daß Sie mir nur Angenehmes zu sagen haben?«
»Allerdings, denn eine Warnung hat stets ihre Annehmlichkeiten, Herr Lieutenant.«
»Wie? Sie beabsichtigen, mich zu warnen?«
»Ja.«
»Vor wen oder was?«
»Vor der Polizei.«
»Ach! Ich wüßte nicht, was ich mit ihr zu schaffen hätte! Und wenn Sie mich warnen, scheinen Sie der Ansicht zu sein, daß mir etwas Unangenehmes drohe?«
»Das ist allerdings der Fall.«
»Daß ich also mit der Polizei in Conflict stehe?«
»Leider.«
»Hm! Ich will Ihnen sagen, daß ich Ihrer Warnung nicht bedarf. Ich habe die Polizei nicht zu fürchten.«
»Desto besser für Sie!«
»So weiß ich allerdings nicht, wie Sie auf den Gedanken kommen, mich zu warnen, noch dazu in nächtlicher Zeit. Ich kenne Sie nicht, Sie tragen einen romantischen, theatralischen Titel; dies giebt Ihnen aber kein Recht, mich zu incommodiren.«
»So verzeihen Sie, Herr Lieutenant! Ich bitte um Entschuldigung und werde Sie keinen Augenblick länger belästigen. Meine Warnung betraf einen gewissen Wunderlich. Da Sie ihrer aber nicht bedürfen, so sage ich Ihnen höflichst gute Nacht!«
Er drehte sich ab, scheinbar um sich zu entfernen. Aber da hatte ihn der Lieutenant auch bereits am Arme ergriffen und fragte in eifrigem Tone: »Halt! Bitte! Wunderlich sagten Sie? Wer ist das?«
»Sie kennen ihn nicht?«
»Nein. Was ist er?«
»Rentier.«
»Wo wohnt er?«
»Neumarkt Nummer Zwölf.«
»Habe keine Ahnung von diesem Manne!«
»Man sagt aber, daß Sie ihn kennen.«
»Ganz und gar nicht.«
»Daß Sie ihn besuchen.«
»Fällt mir nicht ein.«
»Daß Sie sogar in Geschäftsverbindung mit ihm stehen.«
»Man lügt.«
»Wirklich?«
»Ja. Ich bin Officier und kein Geschäftsmann. Sie verstehen mich hoffentlich!«
»Aber er scheint Geschäftsmann zu sein!«
»Sie widersprechen sich!«
»In wiefern?«
»Sie nannten ihn vorhin Rentier. Rentiers aber pflegen nicht Geschäfte zu treiben, sondern sich vielmehr ganz im Gegentheile von ihnen zurückgezogen zu haben.«
»Im Allgemeinen, ja. Aber kleine Geschäftchens giebt es
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