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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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nur ein einziges Mal William zu Wort kommen, um sich von ihm seinen Namen und seinen letzten Wohnsitz vor der Einlieferung in die Anstalt bestätigen zu lassen. Die übrige Zeit in der einen Stunde, die William in dem Raum anwesend war, legte er dem Häftling die Anschuldigungen gegen ihn dar, wobei er sich gelegentlich einzelne Punkte von Vickery oder Pettit bestätigen ließ. Verschiedene Herren im Amt für öffentliche Bauvorhaben seien bei den Ermittlungen gegen den Häftling äußerst hilfreich gewesen. Natürlich gebe es bereits ausreichend Beweise. Allein schon die Tatsache, dass May in dieser Anstalt verwahrt werde, belege jedem Gericht hinlänglich dessen geistige Zerrüttung. William habe den Toten gekannt. Er habe schriftlich gestanden – und hierbei dankte der Inspektor Pettit dafür, dass er den Brief Scotland Yard zur Kenntnis gebracht habe –, bei dem Mord zugegen gewesen zu sein. Darüber hinaus gebe es ein eindeutiges Motiv. Mr. Hawke, Mays Vorgesetzter, habe ausgesagt, dass es zwischen May und England zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sei. Die beiden Männer hätten einander gedroht. In einem Fall habe Mr. Hawke persönlich eingreifen müssen, um Tätlichkeiten zu verhindern. Ob Dr. Pettit bestätigen könne, dass der Häftling zu Gewaltausbrüchen neige?
    Pettit zögerte keine Sekunde, dem zuzustimmen. Und ja, erst kürzlich sei Mr. Vickery gezwungen gewesen, mit harter Hand durchzugreifen, um Gewalttätigkeiten Mays zu unterbinden, nicht wahr, Mr. Vickery? Ja, das sei vollkommen zutreffend, meinte Vickery nachdrücklich und kehrte dabei William unverwandt den Rücken zu. May habe sich als einer seiner schwierigeren Patienten entpuppt. Zudem konnte Vickery bestätigen, dass der Gefangene zahlreiche Narben auf Armen und Oberschenkeln habe, möglicherweise von Schnittverletzungen mit einem Messer, die bei einem Kampf auf Leben und Tod entstanden sein könnten. In der Tat, fügte Vickery hinzu und schlug dabei auf den Tisch, um seine Worte zu unterstreichen, würde es ihn angesichts der vielen Vernarbungen nicht überraschen, wenn England nicht Mays erstes Opfer gewesen sei.
    Daraufhin gab es ein allgemeines Luftholen und ein noch weiteres Abrücken der Stühle von dem Teil des Raums, in dem der gleichmütig blickende Häftling saß. Nein, bestätigte Pettit, natürlich sei keineswegs beabsichtigt, May aus der Anstalt zu entlassen, doch werde bereits erwogen, ihn zu gegebener Zeit in eine Bezirksanstalt zu verlegen, wenn die Geduld und das Wohlwollen der Baubehörde an ihr unvermeidliches Ende gelangt seien. Seit seiner Einlieferung habe May keinerlei Interesse an seiner Umgebung gezeigt und die meiste Zeit des Tages reglos im Bett zugebracht. Nach Pettits Expertenmeinung sei die Geisteskrankheit des Häftlings bereits weit fortgeschritten und tief verwurzelt. Deshalb habe er der Behörde versichert, es bestehe keine Aussicht darauf, dass May jemals wieder gesunde und ohne stationäre medizinische Betreuung auskomme.
    Aber was sei mit dem Brief, in dem der Häftling seine Unschuld beteuert habe? Spreche daraus nur Verschlagenheit, oder sei dies eine seiner Geisteskrankheit geschuldete Selbsttäuschung? Pettit seufzte. Beides könne zutreffen, räumte er ein. Möglich, dass der Häftling in seinem Wahn sich selbst für unschuldig halte. In einem Fall wie diesem, wo der Häftling gestanden habe, unter zeitweiligem Gedächtnisverlust zu leiden, und wo man Wahnvorstellungen fortgeschrittener und gewaltsamer Natur nicht nur in der Anstalt, sondern auch schon zuvor, am ehemaligen Arbeitsplatz des Häftlings, beobachtet habe, könne es durchaus möglich sein, dass er sich nicht mehr an seine mörderische Tat erinnere. Er, Pettit, habe schon öfter solche Fälle erlebt. Er habe es sogar schon mit Geistesgestörten zu tun gehabt, die in der fiebrigen Hitze ihrer Wahnvorstellungen darauf beharrt hätten, jemand anderer habe das Verbrechen begangen, um sich dadurch von der Schwere ihrer uneingestandenen Schuld zu entlasten. Niemandem könne man weniger trauen als einem Geistesgestörten. Deshalb sei es äußerst wichtig, betonte Pettit, den Äußerungen des Häftlings keinerlei Glauben zu schenken. Die Polizei brauche seine Behauptungen in keiner Weise zu beachten, so nachdrücklich er sie auch vortrage. Eine Aussage von ihm sei ganz und gar wertlos.
     
    Da das Gefängnis von Newgate wegen einer Ruhrepidemie vorübergehend geschlossen war, wurde William auf ein Gefängnisschiff gebracht, das in

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