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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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dürfe er nicht eingehen, hatte er gesagt und sich wie eine alte Jungfer mit vor Abscheu verkniffenem Gesicht die Brille hochgeschoben. Und so ließ sich William erneut die Zwangsjacke anlegen. Als Peake die Gurte festzurrte, fuhr ihm der Schmerz in die lädierten Rippen, aber er biss die Zähne zusammen und ließ sich nichts anmerken. Ihm war flau, und der Speichel lief ihm im Mund zusammen. Noch klang in ihm die Hochstimmung nach, die ihn erfasst hatte, als er den Brief schrieb, die Hoffnung, als er ihn Peake zugesteckt hatte. Peake würde ihn zu Polly bringen. Er würde hier rauskommen. Seine Hoffnungen waren nicht umsonst gewesen. Es würde eine Untersuchung geben. Man würde ihn freisprechen und sich bei ihm entschuldigen. Natürlich musste sich die Polizei an die übliche Vorgehensweise halten. Deshalb würde er sich auch nicht weigern, die Zwangsjacke anzulegen, wenn dies erforderlich war. Er würde vorbildlich und mit ausgesuchter Höflichkeit kooperieren. Das war seine einzige Chance. Er würde sie nicht verspielen. Wenn das Verhör gut verlief und er die Kriminalbeamten von der Wahrheit seiner Geschichte überzeugen konnte, würde er frei sein. Seine Hände zitterten von der Anstrengung, seine Vorfreude in Zaum zu halten.
    Auf Anweisung des Polizisten stellte einer der Wärter für den Inspektor und seine beiden Begleiter einen Tisch und Stühle sowie an der gegenüberliegenden Wand einen niedrigeren Stuhl für den Gefangenen bereit, so dass sich zwischen beiden Parteien die Kluft eines leeren Raums auftat. Peake an seiner Seite, wartete William im Stehen und blickte stumm und unverwandt geradeaus. Er zwang sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Aber in seinem Kopf schwirrten und hämmerten die Gedanken, Euphorie rang mit Niedergeschlagenheit, Befürchtungen rangen mit Zuversicht – Gefühle, die seinen Speichel mit ihren starken Aromen würzten. Doch äußerlich blieb William ruhig, mit ausdrucksloser Miene, sein Atem – der eines Unschuldigen, eines geistig gesunden Mannes – ging langsam und leise. Durch die Zwangsjacke waren ihm die Hände auf den Rücken gebunden. William bemühte sich um einen ungerührten Gesichtsausdruck, ballte jedoch die Fäuste so fest, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen gruben, und versuchte mit aller Kraft den fieberhaften Strom der Gedanken zu bändigen. Er musste einen klaren Kopf bewahren. Einen Gedanken nach dem anderen legte er wie bezahlte Rechnungen ab.
    Er hatte in seinem Brief die Wahrheit geschrieben.
Erledigt.
    Er war Zeuge eines Mordes geworden, aber er hatte ihn nicht begangen.
Erledigt.
    Angst und Verwirrung hatten ihn befallen, bis er sich selbst für verrückt hielt, ja, es sich sogar wünschte, doch er war nicht verrückt. Erschöpft und verängstigt, aber nicht verrückt. Nicht verrückt.
Erledigt.
    Er hatte mit Alfred England beruflich zu tun gehabt, aber er hatte keinen Grund, ihm den Tod zu wünschen.
Erledigt.
    In jener Nacht war in den Tunneln noch ein anderer Mann gewesen.
Erledigt.
    Und William wusste, wer dies war.
Erledigt.
    Doch dann fing er an zu überlegen, und sofort hob der Tumult in seinem Kopf wieder an. Jetzt waren es nicht mehr nur Stimmen, sondern auch Bilder, Bilder von Hawkes Gesicht an jenem Tag, als William mit ihm über den Vertrag für Abbey Mills zu sprechen versucht hatte. Hawke hatte damals bereits gewusst, dass England tot war. Wochen bevor die Leiche gefunden wurde, hatte Hawke es gewusst. Und er hatte dafür gesorgt, dass man William die Schuld dafür in die Schuhe schob.
Ich fürchte, dass Ihre Probleme mit England gerade erst anfangen.
Hawke hatte gegrinst, weil er wusste, was kommen würde. Bitternis überflutete William, und es kostete ihn alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Nur allzu gut wusste er, dass es ihm jetzt nichts nützte, Beschuldigungen vorzubringen. Er biss sich auf die Lippen und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen. Wenn er ruhig blieb, würde alles gut werden.
Feste Gewohnheiten, Zuverlässigkeit, Disziplin, Systematik beim Lösen von Problemen.
Systematisch setzte er seine Bestandsaufnahme fort.
    Er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um die Polizei bei ihren Ermittlungen zu unterstützen.
Erledigt.
    Wenn Polly erst einmal alles begriffen hatte, würde sie ihn nicht mehr mit diesem Blick ansehen. Sie könnten noch einmal von vorn beginnen, irgendwo weit weg von der Stadt, weit weg von den Abwasserkanälen.
Erledigt.
    Er durfte die Beherrschung nicht

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