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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Woolwich vertäut lag – ein von Ungeziefer verseuchter Koloss, mit dem man früher Sträflinge in die amerikanischen Kolonien transportiert hatte. Dort sollte er auf seinen Prozess warten. Trotz der Bedenken der Ermittlungsbeamten, die der Gefühlsausbruch des Häftlings am Ende der Zusammenkunft aus der Fassung gebracht hatte, befreite man May aus der Zwangsjacke, bevor er die Anstalt verließ, weil Pettit nicht willens war, sie kostenlos dem Strafvollzug zu übereignen. Stattdessen wurde May mit schweren eisernen Handschellen gefesselt. Zu seiner Überführung nach Woolwich in einer fensterlosen Kutsche sperrte man ihn zudem in einen massiven Gitterkäfig. Sofort nach seiner Ankunft auf dem Schiff wurden ihm Fußeisen angelegt, die man zwar erst in seiner Zelle zusammenschloss, ihn aber bereits auf dem Weg dorthin beim Gehen schmerzhaft behinderten. William konzentrierte sich darauf, die Füße immer nur ein kleines Stück nach vorn zu schieben, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und zu vermeiden, dass die Schmerzen in den Schienbeinen allzu schlimm wurden. Es tat ihm gut, eine so klar umrissene Aufgabe zu haben. Der Lärm und der Gestank auf dem Hauptdeck waren niederschmetternd. Zu beiden Seiten des Schiffs reihten sich endlose schmale Zellen aneinander, und eine weitere Reihe von Zellen verlief, einem Rückgrat gleich, in der Mitte. Obwohl eigentlich jeder Häftling einzeln verwahrt werden sollte, mussten sich viele eine Zelle teilen. Die Männer brüllten und fluchten und rüttelten an den Türen, als William, begleitet von drei Wärtern, an ihnen vorbeiging. Wie ein Steinhagel, der aus allen Richtungen kam, prasselten die Stimmen auf ihn ein. William starrte geradeaus und verschloss die Ohren. Einigen Häftlingen hatte man eiserne Handschellen angelegt, die in der Zellenwand befestigt waren, so dass sie knien oder sich gegen die Schiffswand lehnen mussten. Ein Häftling befand sich auf dem Flur. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, er gehe gebeugt, um nach etwas zu suchen, was ihm zu Boden gefallen war, aber bei genauerem Hinsehen erkannte man, dass an seinem Hals eine Eisenstange hing und seine Füße mit einer Art Steigbügel gefesselt waren. Als die Wärter an ihm vorbeigingen, versuchte er, sie anzuspucken, brachte aber nur ein winziges Tröpfchen Speichel zusammen. Beiläufig, als würde sein Arm bloß eine Gefängnisvorschrift ausführen, versetzte einer von Williams Begleitern dem Häftling mit der flachen Hand einen ebenfalls wenig überzeugenden Schlag auf die Schulter.
    Am Ende des Hauptdecks wartete auf William ein Metallkäfig, der an einer Vorrichtung aus Metallseilen und Rollen hing. Der Käfig war zu eng, um alle vier Personen aufzunehmen, so dass sich nur zwei der Wärter zu William hineinquetschten. Sie nickten dem zurückbleibenden Aufseher zu, die Tür zu verriegeln. Ein Ruck, der William nach vorn taumeln ließ, und der Käfig begann langsam nach unten zu sinken. Es wurde immer finsterer, der Gestank nahm zu. Der Käfig glitt, ohne anzuhalten, an einem weiteren Schiffsdeck vorbei, bis er schließlich mit einem erschrockenen Ächzen ruckartig stehen blieb. Die Tür wurde aufgeschlossen und William in die Düsternis eines Unterdecks geschoben, das tief im Bauch des Schiffes lag. Dort verfrachtete man ihn in eine Zelle, die viel kleiner war als die Zellen auf dem Oberdeck und etwa die Größe eines geräumigen Wäscheschranks hatte. Da sie in der Schiffsmitte lag, war sie fensterlos, und die Luft roch faulig und verbraucht. William juckte der Kopf, als wäre er bereits von Läusen befallen. Es gab keine Pritsche, keinen Stuhl, nichts außer einem Eimer in der Ecke und ein wenig Stroh auf dem Boden. Die Wärter befestigten Williams Fußfesseln mit Ketten an Eisenringen an der rostigen Wand und schlossen die Tür hinter sich. Noch lange, nachdem ihre Schritte verklungen waren, stand William mitten in der Zelle. Es war ruhiger hier unten, der Lärm von den oberen Decks drang nur gedämpft durch die zum Schneiden dicke Luft, aber es war nicht die friedliche Stille eines leeren Raums. Vielmehr bebte und vibrierte es wie in einer brodelnden Suppe, deren Blasen gelegentlich zu Schreien oder zornigen Flüchen zerplatzten; die meiste Zeit aber verströmte sie nur einen übel riechenden Dunst der Erschöpfung und des Elends. William hatte plötzlich das Bild Tausender Männer vor Augen, die hier zusammengepfercht und übereinander gestapelt waren, jeder von ihnen für alle Ewigkeit in

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