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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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erschienen, überschlugen sich die Zeitungen mit Berichten über heldenhafte Schlachten an der Donau, und die Siege der napoleonischen Kriege hallten triumphal in der Gegenwart wider. Menschenmassen zogen wie im Fiebertaumel durch die Straßen, berauscht von nationalem Stolz.
    Im Haus des Doktors in Clapham ging Polly ruhig und gelassen ihren täglichen Pflichten nach. Immer noch bildeten sich Grübchen auf ihren sommersprossigen Wangen, wenn sie ihr strahlendes Lächeln zeigte. Sie hatte kaum eine Vorstellung davon, wohin William geschickt worden war, und sie kannte auch nicht die Gründe für den Krieg, in dem er kämpfte; aber sie wusste, dass er seine Pflicht erfüllte und, sobald der Feldzug zu Ende war, zu ihr zurückkehren würde. Polly besaß die Gabe der Zufriedenheit. Es lag ihr nicht, lange über unangenehme Dinge nachzusinnen, es entsprach einfach nicht ihrem Naturell. Dabei hatte sie durchaus schon Not und Elend erlebt. Nach dem Tod ihres Vaters, als Polly noch klein war, stand die Bauernfamilie ohne einen Penny da, und noch vor ihrem elften Geburtstag musste sie die Schule verlassen und eine Stellung als Dienstmädchen antreten. Aber das Leben hatte sie nicht ängstlich und grüblerisch gemacht, und sie weigerte sich, es zu werden. Was hatte es für einen Sinn, statt der Nacht den Tag herbeizusehnen? Wenn es so weit war, würde William zurückkommen. Derweil hatte sie eine angenehme Stellung in einer freundlichen Familie, sie liebte die Kinder, sang, während sie das Kinderzimmer aufräumte, und lachte herzlich über das geradezu vorbildlich wutverzerrte Gesicht eines bemalten Spielzeugsoldaten und die unangebrachte Erhabenheit in den Knopfaugen eines ausgestopften Kaninchens. Alles, was tiefgründige Ernsthaftigkeit ausdrückte, rührte und amüsierte sie zugleich.
    Auch über Williams Ernsthaftigkeit hatte sie stets nur gelacht. Sie hatte ihm die Furchen auf seiner Stirn glatt gestrichen und sich auf die Zehenspitzen gestellt, um ihn auf den zusammengekniffenen Mund zu küssen, bis auch er lachen musste und sie in die Arme nahm. Mit ihr, sagte er und zeichnete mit dem Finger die Rundung ihrer Wange nach, könne er nie lange unglücklich sein. Hätte sie ihn nicht mit einem Kuss zum Schweigen gebracht, hätte er ihr noch mehr gesagt. Er hätte ihr gesagt, dass er in ihrer Gegenwart aus sich selbst herausgehe und den Krämersohn mit den zwei linken Füßen, der sich alles viel zu sehr zu Herzen nahm, wie eine alte Haut abstreife. Bei ihr vergaß er, dass das Leben unvorhersehbar und grausam war, dass Väter starben und Glück nicht von Dauer war und dass alles, was sicher schien, plötzlich in unerreichbare Ferne rücken konnte. Er vergaß seinen Vorsatz, auf der Hut zu sein, sich stets abseits zu halten und auf festem Boden zu bleiben, der seinen Füßen vertraut war wie ein Paar alte Schuhe. Ja, wenn er mit Polly zusammen war, vergaß er, dass er überhaupt Füße hatte. Mit ihr wirbelte er, Purzelbäume schlagend, durch die Tage, so benommen vor unfassbarem Glück, dass er nicht mehr wusste, was oben und was unten war. Er hatte das Gefühl, als hätte er mitten im Winter ein Fenster aufgestoßen und dabei festgestellt, dass draußen auf der Wiese der Sommer eingekehrt war. Ihre Wärme erfüllte ihn wie der Sonnenschein. Polly wiederum fühlte sich durch Williams bedächtigen Ernst sicher und geborgen. Sie hätte ihre Gefühle zwar nie in Gedanken oder Worte fassen können, aber sie begriff, dass sie durch seine Erdenschwere am Boden gehalten wurde, so wie der Heißluftballon über dem Vergnügungspark in Cremorne mit Seilen gesichert war. Er würde sie nie davontreiben lassen.
    In dem Monat, nachdem William in See gestochen war, trat Polly jeden Morgen kalter Schweiß auf Stirn und Unterarme, während sie die Kleinen herausputzte, und ihr war speiübel, bis sie sich in die Schüssel auf der Waschkommode erbrach. Als George mit vor Ekel verzerrtem Gesicht seinem Vater von diesem allmorgendlichen Ritual berichtete, rief der Doktor Polly in sein Sprechzimmer. Ihr Verhalten sei unentschuldbar, meinte er streng, aber obwohl er aufrichtig hoffe, dass sie vor ihm und vor Gott Scham empfinde, könne man durchaus etwas gegen ihren Zustand tun. Der Doktor war auf Frauenheilkunde spezialisiert und hatte sich in eingeweihten Kreisen gewissermaßen das Renommee erworben, Frauen zu helfen, die in Schwierigkeiten steckten. Und er bot ihr seine Hilfe an.
    Aber Polly lehnte höflich ab. Sie war überzeugt, dass sich

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