Der Vermesser (German Edition)
unbekannten Herrn gewandt hinzu. »Wir haben heute Abend ein paar sehr tüchtige Kampfhunde für Sie. Möchten Sie eine Wette abschließen?«
Der Captain nickte ungeduldig und reckte über Brasseys Schulter hinweg den Kopf in Richtung Arena. Der Offizier war ein Mann mittleren Alters, von gedrungener Statur, und ein dunkler Backenbart überwucherte seine schmalen Lippen. Er trug die höhnische Miene eines Menschen, der es gewohnt ist, unzumutbare Befehle zu erteilen, doch ansonsten deutete nichts darauf hin, dass er in Militärdiensten stand. So trug er auch keine Hauptmannsuniform, sondern einen schwarzen Rock samt hohem, gestärktem Kragen, der ihm, dem gereizt vorgeschobenen Kinn und seiner Gesichtsröte nach zu schließen, ausgesprochen unbequem war. Den Hals seines Freundes zierte ein noch höherer und noch steiferer Kragen, aber der Mann war so dünn und sein Gesicht so schmal, dass man sich vorstellen konnte, er hätte ihn angelegt, ohne den Knoten seiner Halsbinde zu lösen.
Brassey führte die beiden zu ihrer Loge und neigte dabei den Kopf so tief, dass es Tom nicht überrascht hätte, auf seiner Stirn die Abdrücke seiner Jackenknöpfe zu sehen. Der Captain verlor kein Wort über den eigens für ihn hergerichteten Ehrenplatz. Stattdessen ließ er sich in einen der Lehnstühle fallen, legte die Füße auf die Bretterwand der Arena und verlangte schroff, man möge ihm die Hunde zur Begutachtung vorführen. Die Augen vor dem Qualm seiner Zigarre halb zugekniffen, besah er sich die Tiere eingehend. Eine Bulldogge, die ihm ein Mann verkaufen wollte, nahm er besonders gründlich in Augenschein und hielt dem Tier das glühende Ende seiner Zigarre an die Nase; einen Augenblick schnüffelte die Bulldogge daran, um dann vor Schmerz winselnd zurückzuzucken. Der Captain grinste.
»Rein mit ihm!«, befahl er.
»Für einen echten Kampfhund würde der ein Vermögen zahlen«, raunte jemand Tom zu. Es war der Mann mit dem maulwurfgrauen Rock aus dem Schankraum. »Der ist ganz verrückt nach dem Hundekampf. Verwettet bei einem einzigen Kampf mehr, als wir in einem ganzen Jahr verdienen.«
Der Captain betrachtete die Bulldogge offensichtlich nicht als einen potenziellen Sieger. Er ließ dem Hund nur wenige Minuten Zeit, bevor er ihn mit einer Handbewegung aus dem Ring scheuchte. Brassey trippelte eilig los, um den nächsten Kandidaten zu holen, einen bösartigen kleinen Terrier, kaum größer als die Ratten, auf die er losgelassen werden sollte. Doch beim Publikum genoss er große Wertschätzung, und so johlten die Leute auf, als sie sein Winseln draußen auf der Treppe hörten. Tom hatte vorgehabt, selbst ein paar Shilling auf ihn zu setzen, aber plötzlich überkam ihn eine große Müdigkeit. Der Kopf tat ihm weh. Als der Hund in den Ring gehoben wurde, war das Getöse so laut, dass Tom es nicht mehr aushielt. Der Captain in seiner Loge lehnte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Bretterwand und saugte gierig an seiner Zigarre. Tom schlüpfte hinaus.
Draußen in der dunklen Gasse wehte ein leichter Wind. Es war kalt. Fröstelnd vergrub Tom die Hände in den Jackentaschen. Kurz bevor er die Compton Street erreichte, hatte er plötzlich das Gefühl, verfolgt zu werden. Er drehte sich um. Da setzte sich die Hündin mit den rosa geränderten Augen ein paar Schritte vor ihm hin und trommelte mit dem zerbissenen Schwanz Muster in den Straßenstaub. Das Tier gab keinen Laut von sich, blickte ihn jedoch in der Dunkelheit erwartungsvoll an, ein ausgefranstes Stück Seil um den Hals. Tom sah den Hund an. Aus der Compton Street hörte er das schrille, eulenhafte Krächzen einer Frau, die vor sich hin fluchte. Langsam nahm er eine Hand aus der Jackentasche und ließ sie herunterbaumeln. Die Hündin beobachtete ihn, ihr Blick glitt Toms Arm hinunter und wieder nach oben. Ihr gespitztes Ohr zuckte im Wind. Und dann, ganz lautlos, richtete sie sich auf, machte drei vorsichtige Schritte auf Tom zu und schmiegte die Schnauze in seine Hand. Sie passte genau hinein. So standen sie eine Weile im Dunkeln, und die Spürhaare der Hündin kitzelten Toms Finger. Dann bückte er sich und hob die fadenscheinige Leine auf, und gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg.
V
M an hatte erwartet, dass der Krieg gegen die Russen einen, höchstens zwei Monate dauerte. Während in Southampton Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen wurden, deren schmucke Uniformen mit den funkelnden Verzierungen wie die Inkarnation kriegerischer Herrlichkeit
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