Der Vermesser (German Edition)
Er bahnte sich einen Weg zum Kamin, wo ein alter Mastiff ausgestreckt lag und rasselnd schnarchte. Die Wände waren mit Trophäen übersät. Zahllose schwarze Lederhalsbänder mit Ringen und Ösen aus Messing, gerahmte Stiche berühmter Kampfhunde, verstaubte Glasvitrinen mit ausgestopften, von Motten zerfressenen Hunden. Eine davon, die über dem Kaminsims angebracht war, sah sich Tom genauer an. Darin ausgestellt war ein Monstrum von Hund mit brauner Zeichnung und überheblichem Blick. Seinen dicken Hals schmückte eine abgewetzte gelbe Kette aus Edelsteinimitat, die an ein Damenarmband erinnerte, und zwischen den mächtigen Kiefern hielt er eine riesige ausgestopfte Ratte, deren Glasaugen vor Entsetzen weit aufgerissen waren.
»Das ist Beauty. Hast du mal ’nen Kampf von ihr miterlebt?«, fragte ein Mann neben Tom. Er trug ein maulwurfgraues Wams, und sein kurz geschorenes, gleichfalls maulwurfgraues Haar sah an vielen Stellen aus wie abgewetzter Samt.
»Ein- oder zweimal, ja.«
»Aber beim Ausstopfen haben sie sie ganz schön vermurkst, stimmt’s?«, fuhr der Mann gut gelaunt fort und zeigte seine Zahnlücken. »Der Kopf ist ja viel zu kurz. Was war das für ein Hund! Einmal, das ist jetzt schon Jahre her, kurz nachdem ich angefangen habe …«
Tom erfuhr nicht, was der Mann angefangen hatte. Urplötzlich, als hätte sich eine Schleuse geöffnet, strömten die Männer aus der Schankstube hinaus. Tom folgte ihnen die abgetretenen Stufen der Treppe hoch. Oben angelangt, warf jeder einen Shilling in die Schachtel, die Brassey bereithielt. Tom bezahlte sein Eintrittsgeld und nickte Brassey zu, doch der Wirt bedeutete ihm nur mit einer hektischen Handbewegung, dass er weitergehen solle.
In dem Raum im oberen Stock waren die Fensterläden geschlossen, und die Lampen in den Ecken verbreiteten ein so grelles Licht, dass einem die Augen wehtaten. In der Mitte befand sich der Kampfplatz, eine runde, weiß gestrichene Holzarena, hüfthoch und von zweieinhalb Meter Durchmesser. Ein Kreidekreis von etwa dreißig Zentimeter Durchmesser, der auf die nackten Holzdielen gemalt war, markierte den Mittelpunkt des Rings. Die Zuschauer lehnten sich an die Arenawände oder kletterten auf die Tische dahinter, um besser sehen zu können. Die Hunde winselten und sabberten. Es herrschte dichtes Gedränge, das Publikum war aufs Äußerste gespannt. Im allgemeinen Tumult schrie immer wieder jemand, dass der Kampf endlich beginnen solle.
Brassey blieb zunächst in der Tür stehen und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Mit besorgtem Blick betrachtete er die unbesetzte Nische in der Wand, wo drei verschiedenartige Lehnstühle aufgestellt waren. Aber vom Captain und von seinen Freunden war weit und breit nichts zu sehen. Brasseys Gehilfe sah seinen Herrn erwartungsvoll an, doch der runzelte nur die Stirn. Erneut zog er seine Uhr heraus. Hinten im Raum hob ein Sprechchor an. Andere klatschten ungeduldig in die Hände. Nach einem letzten unwilligen Blick zur Treppe nickte Brassey seinem Gehilfen zu und schloss die Tür.
Als der erste Käfig hereingebracht wurde, johlten die Zuschauer vor Begeisterung. Der Junge stellte den Käfig mit großer Geste in der Kampfarena ab, umtänzelte ihn und versetzte so die Männer in einen wahren Fiebertaumel, bevor er die Falle aufklappte, als wäre er der Zauberkünstler beim Derby Day in Epsom. Einen Augenblick lang geschah nichts. Dann ergoss sich eine wahre Flut von Ratten in den Ring. Sie flitzten über den weißen Fußboden, um sich an der hintersten Wand zu einem wimmelnden Haufen zusammenzudrängen. Unbestreitbar große Tiere, dachte Tom mit einem Gefühl der Genugtuung. Der schwüle Geruch sommerlicher Aborte stieg von ihnen auf. Sobald die Hunde die Ratten witterten, gerieten sie ganz aus dem Häuschen, bellten wie wild und versuchten sich zappelnd aus den Armen ihrer Besitzer zu befreien. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Brassey kletterte auf einen Tisch, bat schreiend um Ruhe und verkündete die Spielregeln des Hauses. Jedem Hund könne ein Sekundant zur Seite stehen, der sich aber nur innerhalb des markierten Bereichs des Kampfplatzes aufhalten dürfe. Wer einen Hund oder eine Ratte berühre oder sich auf irgendeine Weise regelwidrig verhalte, dessen Hund werde sofort disqualifiziert. Die Zeitvorgaben seien genauestens einzuhalten. In strittigen Fällen obliege es dem Schiedsrichter zu entscheiden, ob eine Ratte noch lebe oder bereits tot sei. Als Brassey seine kurze Ansprache
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