Der Vermesser (German Edition)
alles zum Guten wendete. Es würde noch Monate dauern, bis ihre Schwangerschaft zu sehen war. Wenn der Krieg zu Ende ging – und alle sagten, dass er bald vorüber wäre –, würde William zurückkommen. Dann würden sie heiraten, ehe das Baby geboren wäre. Und glücklich sein. Darüber hinaus gestattete sie sich keine weiteren Gedanken. Abends saß sie im Kinderzimmer am Kamin, die Näharbeit müßig in ihrem Schoß, und lächelte in das feierliche Antlitz des ausgestopften Kaninchens. Sie wusste, dass sie ein furchtbares Risiko einging; das Kind zur Welt zu bringen konnte sie zugrunde richten. Doch das drang nur vage in ihr Bewusstsein, so wie sie dank des Globus im Kinderzimmer wusste, dass die Erde nicht flach, sondern rund war, auch wenn ihre Vorstellungskraft dafür nicht ausreichte.
Es war ein wunderbarer Sommer. An den langen, blassblauen Abenden saß Polly mit den Kindern auf dem Sofa, bevor sie sie zu Bett brachte, legte die Arme um sie und erzählte ihnen mit leuchtenden Augen von dem Leben, das sie und William führen würden, sobald er zurückkehrte; von dem Heim, in dem sie wohnen würden, wenn er erst einmal aus der Armee entlassen war, von dem blumengemusterten Porzellan, das ihr Essgeschirr sein würde, und von den Namen, die sie ihren Kindern geben würden. Die Kinder des Doktors lauschten verzückt. Das vorige Kindermädchen hatte ihnen immer nur lehrreiche Geschichten erzählt, zum Beispiel von dem Mädchen, das auf die große Familienbibel gestiegen war, um an ein Regal zu kommen, und dann gestürzt und an seinen Verletzungen gestorben war. Pollys Geschichten enthielten keine Belehrungen. Immer und immer wieder wollten die Kinder hören, wie sich Polly und William in Kew Gardens kennen gelernt hatten, obwohl sie doch selbst dabei gewesen waren. Sie konnten gar nicht genug kriegen von dem schüchternen Soldaten mit den botanischen Skizzenbüchern unterm Arm, der George geholfen hatte, seinen Reifen aus dem Gebüsch zu befreien, und schamhaft errötete, als Polly ihm für diese Gefälligkeit dankte. Sie schütteten sich aus vor Lachen bei der Vorstellung, dass er, in Liebe entbrannt zu dem hübschen Kindermädchen, ihnen heimlich in das große Gewächshaus gefolgt war, bis er endlich den Mut aufbrachte, auf Polly zuzugehen und seinen Namen zu stammeln. Von dieser Version der Geschichte waren sie so begeistert, dass sie beschlossen hatten, einfach zu vergessen, dass es ja in Wirklichkeit Alice gewesen war, die den Soldaten beim Zeichnen im tropischen Gewächshaus entdeckt hatte. Sie war auf ihn zugestürmt, hatte den widerstrebenden William mitgezogen und darauf bestanden, dass er ihnen die detailgetreuen, wunderschönen Zeichnungen in seinem Skizzenbuch zeigte.
»Und dann sagte George: ›Ach, übrigens …‹«
»Polly!«, protestierte Alice. »Du hast versprochen, nichts auszulassen.«
Polly grinste. »Schon gut, Madame, nur keine Aufregung. Ich also zu ihm: ›Die Kinder sagen immer, ich hätte keinen blassen Schimmer von Pflanzen‹, darauf er: ›Ich kenne mich auch nur aus, weil ich einen guten Lehrer hatte.‹ Und ich wieder: ›Vielleicht könnten Sie es mir beibringen?‹ Darauf hastig er: ›O ja!‹, und dann: ›Wenn Sie das wirklich möchten‹ – wie ein feiner Herr, nur eine Winzigkeit zu zögerlich, und dann wird er rot bis zu den Wurzeln seines goldblonden Haars.«
Alice klatschte in die Hände. »Genau. Und dann hat George gesagt: ›Übrigens, sie heißt Polly‹, und
er
darauf …«
Sie sah George an, dann prusteten sie beide los und riefen im Chor:
»Polygalaceae.«
Das Kichern der beiden Kinder hatte William völlig durcheinander gebracht. Das Wort war ihm herausgerutscht. Denn bei dem Namen Polly war ihm
Polygonaceae
eingefallen, der botanische Name für Knöterichgewächse, und
Polygalaceae,
das waren die Kreuzblumengewächse. Beide Pflanzengattungen waren klein und robust, sie wuchsen auf Wiesen und Brachland; die Blüten der Kreuzblumen waren von überraschender Anmut, mit zarten weißen Blütenblättern, die aus dem glockenförmigen Blütenkelch wie ein spitzenbesetzter Petticoat herauswuchsen. Polly hatte breite, kräftige Schultern und auseinander stehende, karamellbraune Augen mit Flecken, golden wie Blütenpollen, aber ihre Taille und ihre Handgelenke waren schmal und zierlich. Sie roch nach zerknitterter Bettwäsche, nach Gras und Salz und ein wenig nach Karbolseife.
Es war Polly, die William vorschlug, sie an ihrem freien Nachmittag vom Haus des
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