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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Gliedern wie eine Marionette, die sich in ihren Schnüren verheddert hat. Auf seinen aschfarbenen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab, und er fuhr sich mit den Fingern durch das buschige Haar, bis es zu Berge stand.
    »Was ist es denn, was Sie von mir wollen? Wollen Sie noch mehr, ist es das? Sie … Blutsauger, Sie alle beide! Halten Sie mich etwa für …?«
    »Seien Sie still, Sie Narr!« Hawke schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch, und seine Miene war angespannt vor kaum unterdrücktem Zorn.
    Plötzlich flog krachend die Tür zu dem Büro auf; auf der Schwelle erschien ein stämmiger Vorarbeiter mit einer Schürze aus Segeltuch, die dicken Arme über der Brust verschränkt. Seine Hemdsärmel hatte er weit nach oben gerollt, so dass man die verblassten, bläulichen Muster von Tätowierungen sehen konnte, wie Matrosen sie tragen. William machte einen Schritt auf die Tür zu. Der Vorarbeiter stellte sich in Positur, versperrte den Durchgang und räusperte sich.
    »Gibt’s hier irgendwelche Probleme, Mr. England, Sir?«
    Hawke knurrte wütend. Seine Nasenflügel bebten vor Verachtung. Langsam, ohne England auch nur eine Sekunde aus dem Blick zu lassen, ballte er die Hand, hob sie langsam immer höher und presste schließlich die Knöchel an die Mundwinkel.
    Der Fabrikant strich sich die Rockaufschläge glatt. Dabei zitterten ihm die Hände, aber langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. »Keine Probleme, Briggs«, sagte er. Seine Stimme klang belegt, und er räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Obschon ich denke, dass es dienlich wäre, wenn Sie im Vorzimmer blieben, bis ich die Angelegenheit mit Mr. Hawke geklärt habe. Es könnten sich Fragen ergeben, zu denen ich gern Ihre Meinung hören würde.«
    »In Ordnung, Sir.«
    Die Tür schloss sich wieder. William verneigte sich. »Wenn Sie mich entschuldigen möchten, meine Herren …«
    »Wir sind hier noch nicht fertig.« Es war nun Hawke, der den Weg zur Tür verstellte. »Sie scheinen die Misslichkeit Ihrer Lage nicht erkannt zu haben, Mr. May«, sagte er mit sanfter, fast freundlicher Stimme, aber seine Augen zuckten dabei wie die einer Schlange. »Meiner Meinung nach haben wir in unseren Verhandlungen einen entscheidenden Punkt erreicht. Eine falsche Wendung an dieser Weggabelung wäre für Sie fatal, fürchte ich.«
    England ließ William nicht aus den Augen und trommelte leise auf die polierte Schreibtischplatte.
    »Es wäre schiere Torheit, diesen Raum zu verlassen, Mr. May«, flüsterte Hawke. »Ich empfehle Ihnen, denken Sie an Ihren Ruf und an Ihre Verantwortung gegenüber Ihrer Familie. Es gibt für Sie kein Zurück mehr.«
    William sah Hawke unverwandt in die Augen, dann drehte er sich zu England um und tippte sich an die Hutkrempe. »Guten Tag, meine Herren.«
    Vielleicht war es die Erkenntnis, verloren zu haben, was Hawke bewog, dass er wie angewurzelt stehen blieb. Aber wahrscheinlich war es einfach nur Verblüffung. Im Vorzimmer erhob sich der Vorarbeiter halb vom Stuhl, den Nacken gereckt wie ein ungeduldiger Jagdhund, aber schließlich kam von seinem Herrn und Meister keinerlei Anweisung. Er konnte nur zusehen, wie William forsch an ihm vorbei hinaus auf den Hof schritt.
    In den folgenden Tagen wartete William darauf, von der Baubehörde vorgeladen zu werden. Im Bauch spürte er förmlich, wie das Unheil unabwendbar heraufzog. Er begegnete Hawke nur einmal, bei einer Sitzung des Ausschusses, auf der der Fortgang der Ausschachtungsarbeiten unter der Heide von Hampstead besprochen wurde. Unmittelbar vor Ende der Zusammenkunft schob Hawke Lovick bewusst auffällig einen hastig beschriebenen Zettel zu, den Lovick ungelesen in seine Jackentasche steckte. Als William kurz danach in dem schattigen Korridor an Hawke vorbeiging, schüttelte dieser nur grinsend den Kopf.
    Und so wartete William. Die Tage wurden zu Wochen, und noch immer war nichts vom Bauamt zu hören. Lovick und seine Ingenieurskollegen behandelten ihn wie stets mit nachsichtigem Desinteresse. Bis spät in die Nacht arbeitete er an der Vorbereitung seiner offiziellen Empfehlung an Bazalgette, das Amt möge das Angebot der Ziegelei Strowbridge annehmen. Er sammelte Proben, berechnete Messungen und entwarf Schnittzeichnungen. Er besichtigte nach wie vor regelmäßig die Kanäle. Zu Hause beschriftete er seine botanischen Zeichnungen und vervollständigte die Pläne für die Gartengestaltung. Aber er spürte keinen Drang, sich zu schneiden. Eine Ruhe hatte sich

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