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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Weshalb sich haarklein an die Wahrheit halten, wenn die feinen Herren zufrieden waren? Also erfand er bei manchen wirklichen Vorkommnissen da und dort ein paar Einzelheiten hinzu und ließ der Fantasie ein wenig freien Lauf. Tom erzählte von Männern, die man, an Händen und Füßen gefesselt, bei Newgate in die Kanäle geworfen habe, wo grimmige Heerscharen von Ratten ihnen bei lebendigem Leibe das Fleisch von den Knochen fraßen, bis nur noch ihr Skelett und zwei zernagte Stücke Seil übrig waren. Er erzählte von einer Schenke, die nur einen Steinwurf von der ihren entfernt lag; dort sei Männern, die ihre Kumpel an die Polizei verpfiffen hatten, im Keller der Garaus gemacht worden. Ihre Leichen habe man durch eine Falltür im Kanal verschwinden lassen, so dass man nie wieder etwas von ihnen hörte oder sah. Er erzählte vom Themseabschnitt beim alten Grinacre in Southwark, wo im Wasser haufenweise Leichenteile trieben, die Medizinstudenten nach der Sezierung der Toten dort in die offenen Kanäle warfen. Und diese fast wahre Geschichte schmückte er noch aus, indem er von Mördern berichtete, die, um ihre Verbrechen zu vertuschen, ihre Opfer zerstückelten und ebenfalls in diesen Kanalabschnitt warfen, wo sie sich mit den übrigen Leichenteilen vermischten.
    »Und die Mörder, die Leute, die … diese entsetzlichen Verbrechen begangen haben – bestimmt hat man sie gefasst, als die Leichen entdeckt wurden?«, wollte atemlos ein Gentleman wissen und leckte sich dabei die Lippen.
    »Die meisten werden nie entdeckt«, erwiderte Tom seelenruhig. »In den Tunneln gibt es Tausende Verstecke, Sir, wenn man sich auskennt. Stellen, wo man eine Leiche so verbergen kann, dass keiner sie findet. Wenn Sie mal dort runtersteigen, werden Sie sehen, dass in den Löchern des Mauerwerks überall Knochen stecken und was sonst noch alles, was nie wieder auftaucht.«
    »Gütiger Himmel«, meinte der feine Herr. »Und das alles direkt unter unseren Füßen. Das ist ja schlimmer als die Schrecken der Hölle.« Er schüttelte sich in wohligem Abscheu und ließ eine Münze in Toms ausgestreckte Hand fallen.
    Tom nickte. Weshalb hätte er erwähnen sollen, dass bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er oder der Rote Joe im Tunnel auf eine Leiche stießen, sie sofort die Flussfischer benachrichtigten, die die Leiche in Rotherhithe ans Ufer brachten, weil es dort für einen solchen Fund mehr Belohnung gab als sonst wo in der Stadt. Tom schätzte, dass die Gentlemen so etwas wohl weniger gern hören würden.
    Als Toms grausige Fantasien schließlich erschöpft waren und der Alkohol die Zungen der Männer immer schwerer und ihre Trinkgelder immer schmaler werden ließ, machte er sich mit den Münzen, die in seiner Tasche eine feine Melodie anstimmten, auf den Nachhauseweg. Stets war es für ihn ein kleines Vergnügen, wenn er die Tür zu seiner Unterkunft öffnete und Lady dort auf der Decke liegen sah. Die Hündin ihrerseits schien sich keineswegs so sicher zu sein, ob es ihr Freude bereitete, Tom wiederzusehen. Ihre Augen waren so rosa, und sie warf einen so matten Blick über die Schulter, dass man fast meinte, sie würde weinen, und oft stahl sie sich von ihm fort und legte sich auf die morschen Dielen, als wollte sie seiner Berührung ausweichen. Selbst wenn er sie in die Arme nahm, drehte sie den Kopf von ihm weg und reckte die Schnauze in die Luft wie eine Gans, um ihm zu zeigen, dass sie ihm gram war.
    Und dann, ganz plötzlich, spielte sie nicht weiter die Beleidigte, sondern legte das Kinn auf seine Schulter, so dass ihn ihre Spürhaare am Ohr kitzelten und der zerkaute Stummelschwanz gegen sein Bein trommelte. Er hielt sie fest an die Brust gedrückt, bis der Schlag ihrer beider Herzen den gleichen Rhythmus fand und zu einem einzigen wurde.

XI
    D rei Tage bevor der Vertrag mit Strowbridge unterzeichnet und der Baubehörde zur Genehmigung vorgelegt werden sollte und nur neun Tage vor Weihnachten wurde William zu Lovick bestellt. Es war kurz nach zehn Uhr morgens. Draußen schneite es, die schmutzigen Flocken lösten sich vom Nebel wie abblätternde alte Farbe. Eine Weile starrte William auf die dünne Holzwand seiner Arbeitsnische, unfähig, sich zu bewegen. Einige Wochen zuvor hatte er einen Artikel aus
The Builder
daran geheftet und dessen Schlusssatz mit schwarzer Tinte unterstrichen.
Auf Gedeih und Verderb hat die Hauptstadt ein Unternehmen von unvergleichlicher Größe in Angriff genommen
. Jeden Tag, wenn er sich an den

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