Der Vermesser (German Edition)
von einem geschäftigen und lärmenden Treiben, wie William es von florierenden Fabriken kannte, war hier nichts zu merken. An eine Mauer gelehnt, beobachteten zwei breitschultrige, ungepflegt aussehende Männer mit dem muskulösen Körperbau von Brauereipferden, wie sich William einen Weg über den unebenen Hof bahnte. Einer der beiden hielt hinter dem Rücken eine Pfeife versteckt. Durch das trockene Wetter war der Schlamm zu tiefen Furchen gehärtet, und die riesigen Stapel Backsteine auf dem schrundigen Untergrund sahen unwirtlich und trostlos aus wie verlassene Behausungen.
»Schlechte Geschäftslage? Meine Güte, nein!« Alfred England warf Hawke einen nervösen Blick zu, worauf dieser die Stirn runzelte und kaum wahrnehmbar nickte. »Unsere Backsteine erfreuen sich ungebrochen großer Nachfrage. Schließlich sind wir die Firma England & Son. Wir genießen in London mit den besten Ruf. Allerdings haben wir unsere Produktion gedrosselt, damit wir uns voll und ganz auf die Bestellung des Amts für öffentliche Bauvorhaben konzentrieren können.« Der Ziegeleibesitzer räusperte sich. »Schließlich erwarten Sie doch von uns, dass wir so schnell wie nur möglich liefern.«
William hatte plötzlich das Bild einer Schwangeren vor Augen, die mit der einen Hand den dicken Bauch hält und an der anderen einen kleinen Jungen hat. Ihre Hände waren rau von der Arbeit und von der Anstrengung des Lebens. Polly. Und seine Mutter. Beide, ganz unterschiedliche Menschen und doch ununterscheidbar, wie das Bild, das ihm sein Lehrer einst gezeigt hatte, auf dem sowohl ein Vogel als auch ein Hase zu sehen waren, je nachdem, was von beidem man erkennen wollte. Er hatte es seinem Vater nie verziehen, dass er gestorben war, obwohl er den verzweifelten Überlebenskampf dieses Krämers mit eigenen Augen beobachtet hatte. Die anderen in dem kleinen Ort hatten es ebenfalls gesehen. Sie waren einhellig der Meinung, der Krämer habe im Unterschied zu manch anderen, die sie namentlich benennen konnten, seinen Tod auf vorbildliche Weise geregelt. Und so hatte sich seine Familie noch in ihrer Armut einen Rest ihrer alten Ehrbarkeit bewahrt. Als sie nicht mehr umhinkonnten, nach der helfenden Hand der Mildtätigkeit zu greifen, hatte man sie zwar durchaus herablassend, aber keineswegs strafend behandelt. Bei Polly würde das nicht so sein. Die Schande würde ihr anhaften, Schicht um Schicht, wie Trauerschleier, würde ihr Leben verdüstern und aller Welt zeigen, dass sie auf immer eine Ausgestoßene, eine Unberührbare war. Alles, was zur Kenntnis zu nehmen sie sich geweigert hatte, würde den anderen längst bekannt sein. Man würde ihren Mann einen Feigling schelten, einen Irren, eine tödliche Gefahr für sich selbst und – die Kluft war schmal, kaum breiter als ein kleiner Schritt – für andere. Denn wer wusste schon, welch schreckliche Dinge dieser Geistesgestörte im Sinn hatte, der sich mitten unter ihnen verbarg? Die von Hawke ausgestreuten Gerüchte würden sich wie ein Lauffeuer verbreiten und in den Londoner Salons und Clubs willkommener Anlass sein für allerlei Anspielungen und Andeutungen. Rechtschaffene Leute würden ihnen aus dem Weg gehen, bebend vor selbstgefälligem Abscheu. Ihr gnadenloser Absturz in die Armut würde die gerechte Strafe sein, ihre Schande Gottes Wille. Was dann? Wohin würden sie gehen? Was würden sie tun?
Bevor William dem Ziegeleibesitzer antwortete, bat er insgeheim Polly um Gnade und Vergebung.
»Mr. England, es besteht keine Möglichkeit, einen Vertrag zwischen Ihrer Firma und der Baubehörde abzuschließen. Denn dies würde sowohl gegen den Buchstaben als auch den Geist des Vorhabens verstoßen, das die Baubehörde zum Wohle einer gesunden Zukunft Londons geplant hat. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe und wünsche Ihnen für Ihre zukünftigen Unternehmungen viel Glück. Und nun mögen Sie mich bitte entschuldigen, ich fürchte, ich muss umgehend in die Greek Street zurück.«
William hatte sich die Worte im Voraus nicht zurechtgelegt, er wusste nur, dass er seine Haltung unmissverständlich klar machen wollte. Erst als Hawke keine Regung zeigte, merkte er, dass er eigentlich einen tätlichen Angriff von ihm erwartet hatte. Aber Hawke blieb ganz ruhig im staubigen Strahl des Sonnenlichts stehen, das durch das hohe Fenster hereinfiel. Er hatte das Gesicht von William abgewandt und die Schultern vor Zorn oder Entsetzen hochgezogen. Es war England, der aufsprang, mit hüpfenden und zuckenden
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