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Der Vermesser (German Edition)

Der Vermesser (German Edition)

Titel: Der Vermesser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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machte. Jede Antwort erfuhr die gleiche Aufmerksamkeit und wurde mit gleicher Sorgfalt notiert. William hielt die Jackenärmel unverwandt an die Arme gedrückt, und es gelang ihm, mit fester Stimme zu antworten, obwohl er doch die ganze Zeit nur darauf wartete, dass der Arzt mit dem Bleistift auf seinen Unterarm tippte und ihn aufforderte, die Ärmel hochzurollen.
    Doch es geschah nichts dergleichen. Die Frage des Arztes, ob sich William gern im Freien aufhalte und womit er sich dabei beschäftige, führte zu einer heiteren Abschweifung, während deren sich der Arzt zu seiner besonderen Vorliebe für die
Orchis hircina
, die Bocksriemenzunge, bekannte, die in den Sanddünen neben dem Garten seines Elternhauses in Sussex wuchs.
    »Sie hat natürlich keinen besonderen Duft, ja, sie schien mir sogar immer etwas faulig zu riechen. Wenn man jedoch die Natur als Schauspiel sieht …«
    Als William gestand, dass auch er sich als Junge auf die Lauer gelegt habe, um den bezaubernden Augenblick nicht zu verpassen, da die Orchidee ihre langen, gerippten Lippen nacheinander von der Knospe löste, nickte der Arzt begeistert. Und als William sein Skizzenbuch aus der Jackentasche zog, um ihm seine Zeichnungen der
Spiranthes autumnalis
, Herbstdrehwurz oder auch Damenzopf, zu zeigen, die Polly wegen ihres Namens besonders gern mochte, hielt der Arzt nur kurz inne, bevor er eine letzte Bemerkung in sein Notizbuch kritzelte.
    »Sehr gut, Mr. May. Sehr gut«, sagte der Arzt strahlend und klappte das Buch zu. »Wie schön, einem Gleichgesinnten zu begegnen. Ich denke, damit sind wir fertig.« Mit einem Lächeln auf den drallen Wangen öffnete er die Tür. »Kommen Sie wieder herein, Mr. Lovick.«
    Von draußen hörte man ein Gemurmel, bevor Lovick den Raum betrat.
    »Haben Sie alles, was Sie brauchen?«, wollte Lovick mit einem Blick auf William wissen.
    »Ganz gewiss«, versicherte ihm der Arzt und nickte freudig dazu.
    »Ausgezeichnet.« Lovick lächelte. »In diesem Fall, glaube ich, brauchen wir Sie nicht mehr länger aufzuhalten, Mr. May.«
    William wandte den Blick zum Arzt, dann zu Lovick, dann wieder zum Arzt. »Das ist alles?«
    »Das ist alles. Sofern Dr. Feather nicht noch mehr …?«
    Der Arzt schüttelte den Kopf und faltete die Hände über dem Bauch.
    »Dann sind wir fertig. Zurück an die Arbeit, wenn ich bitten darf«, tadelte Lovick sanft. »In diesen Zeiten können wir es uns nicht leisten, auch nur eine Minute zu verlieren.«
    Kurz vor Mittag kam Lovick zu William, um ihn um einige Unterlagen zu bitten. Die Befragung durch den Arzt erwähnte er mit keinem Wort, aber als William in seiner Aktenmappe wühlte, legte ihm Lovick kurz die Hand auf die Schulter. Dann ging er. William war wieder allein.
    Es war vorbei. Jetzt konnte Hawke ihm nichts mehr anhaben. Dieser düstere Dezembertag, der ihm den Untergang hätte bringen sollen, hatte ihn stattdessen rehabilitiert. Er war von einem Arzt untersucht worden, einem Fachmann für Nervenleiden, für – um es unverblümt zu sagen – Geisteskrankheiten, und für gesund befunden worden. Das stand außer Frage. Die Diagnose würde bestätigt werden, dokumentiert, unterzeichnet und aktenkundig gemacht. Irgendwo und für immer würde es ein Schriftstück geben, das diesen Befund unparteiisch und kategorisch bescheinigen würde. William May war geistig gesund. Er war gesund, und es konnte ihm nichts passieren. Und seiner Familie auch nicht. Der Albtraum, der vor mehr als vier Jahren an einem trüben Novembermorgen in der Türkei begonnen hatte, war vorüber. Er war gesund.
    Irgendwo tief in seinem Innern herrschte Erleichterung, ja sogar Freude, dessen war er sicher, aber in dem dünnen grauen Licht des schneeverhangenen Nachmittags fühlte er sich nur benommen und erschöpft. Wie im unablässigen Wechsel von Ebbe und Flut strömte eine Woge von Schreibern und Dokumenten in seine Arbeitsnische und wieder hinaus, zerrte ungeduldig an ihm und ließ ihn umherwirbeln wie einen Kieselstein. Er sehnte sich danach, hinauszukönnen. Er sehnte sich nach den Tunneln, nach der sanften Umarmung der Dunkelheit, aber wenn er jetzt das Büro verließe, würde man sein Fehlen bemerken. Es gab zu viel Arbeit, die erledigt werden musste. Und außerdem, sagte er sich, war sein Impuls, die Tunnel als ein Refugium zu betrachten, reine Gewohnheit, eine schädliche und unvernünftige Gewohnheit, die er besser aufgeben sollte. Er brauchte keine Zufluchtsstätte mehr. Er war schließlich gesund,

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