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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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zum ersten Mal gesehen hatte, musste er laut
    lachen: wie sie nebeneinander hergingen, beide mit hochgereck-

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    tem Kopf und offenem Mund, als wollten sie die Luft kosten.
    Wie die Schnäbel zweier abgestoßener Teekannen vor dem Ein-
    schenken. Jetzt lachte er nicht mehr.
    Tom kauerte sich in den Schmutz und prüfte die Festigkeit des
    Käfigs in den Ecken, indem er den Daumen in die Maschen des
    Drahtgeflechts drückte.
    »Wir nehmen sie nicht mit«, wiederholte Joe mit einem fins-
    teren Blick auf die Hündin, die sich an Toms Bein schmiegte.
    Eins ihrer Ohren war schartig, ebenso ihr Maul, und dass sie den
    Kürzeren ziehen würde, konnte man förmlich r

    iechen. Die Rat-
    ten würden sie in Stücke reißen, sobald sie sie entdeckten.
    Tom zog eine Rolle Eisendraht aus seiner Hosentasche.
    »Sie wird nicht bellen«, sagte er mit ruhiger Gewissheit und
    umwickelte die Scharniere des Käfigs mit dem Draht.
    »Was du g aubst
    l
    , spielt keine Rolle. Sie kommt nicht mit. Und
    damit basta.«
    »Sie wird nicht bellen«, sagte Tom noch einmal und strei-
    chelte der Hündin den Kopf.
    Joe hätte dem Köter am liebsten einen Fußtritt verpasst. »Sie
    bellen alle«, gab er störrisch zurück. »Das hast du mir selbst ein-
    getrichtert, hast du̕s vergessen?«
    »Sie nicht. Ich schwör̕s. Nicht mal ein Winseln, auch nicht in
    der dunklen Höhle unter der Queen Lane. Die ist still wie ein
    Grab.«
    »Du meinst ...«
    »Ich hab sie schon paarmal mitgenommen, Joe. Fünfmal seit
    Sonntag.«
    »Was hast du?«
    »Sie ist ein Rattenfänger. Ich wollte sehen, was sie taugt.«
    Joe starrte ihn mit weit aufgerissenem Mund an.
    »Und sie ist gar nicht übel«, fuhr Tom fort. Seine Mundwinkel
    zuckten, während er der Hündin einen Arm um den Hals legte

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    und ihr über die Schnauze strich. Die Hündin schmiegte den
    Kopf in Toms A h
    c selhöhle und sah o
    J e mit ihren rosaroten Au e
    g n
    eindringlich an. »Wirklich nicht übel.«
    Tom empfand Genugtuung über Joes Erstaunen, aber als er
    sagte, die Hündin sei nicht übel, hatte er nicht ganz die Wahrheit
    gesprochen. Denn sie war gut, sie war sogar ausgezeichnet. Hätte
    Tom es nicht mit eigenen Augen gesehen, er hätte es nicht ge-
    glaubt. Sie hatte ja auch ganz und gar nichts von einem Ratten-
    fänger. Ratten zu jagen war etwas, das man einem Hund nicht
    beibringen konnte. Entweder er hatte Spaß daran oder nicht, so
    einfach war es. Wenn diese Hündin keine Lust dazu hätte, wäre
    nichts zu machen. Außerdem blieb sie bei ihm, und Tom hatte
    nichts dagegen. Er mochte die warme Kuhle, die ihr zusammen-
    gerollter Körper in der Decke hinterließ, und die Art, wie sie die
    Schnauze ohne viel Aufhebens in seine Hand schmiegte, wenn er
    mit dem Essen fertig war. Er liebte ihre Gesellschaft.
    Eines Nachmittags, als die Hündin schon fast eine Woche bei
    ihm war, hatte Tom einen Käfig mit den Viechern in seine Woh-
    nung bringen müssen, nachdem der Wirt des King̕s Head auf
    dem Cock Hill für die einhundert Ratten, die er bestellt hatte,
    nicht zahlen wollte. Als Tom die Tür aufstieß, hob die Hündin
    den Kopf vom Bett. Er stellte den Käfig auf den Boden und
    schnippte zur Begrüßung mit den Fingern, aber sie würdigte ihn
    keines Blicks. Ihre rosaroten Augen waren auf den Käfig gehef-
    tet, ihre geblähten Nüstern bebten. Auch die Ratten konnten die
    Hündin riechen. In dem voll gepackten Käfig fingen sie an zu
    kreischen und krabbelten wild durcheinander. Ihr schmutzstar-
    rendes Fell drückte sich durch die engen Maschen des Drahtge-
    flechts. Tom schnippte noch einmal mit den Fingern, aber auch
    diesmal nahm die Hündin keine Notiz von ihm. Als wäre er Luft.
    Ganz langsam erhob sie sich auf die Vorderbeine und leckte sich
    mit ihrer rosa Zunge über die Schnauze. Ihr Blick war scharf und

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    konzentriert wie der eines Taschendiebs, und ein silbriger Spei-
    chelfaden tropfte ihr aus dem Maul, als sie mit fester Entschlos-
    senheit von dem niedrigen Bett sprang und auf die sich im Käfig
    windenden Ratten zuschlich, den Bauch dicht über den gesplit-
    terten Dielen. Staunend sah Tom ihr dabei zu. Und dann, ohne
    weiter nachzudenken, tauchte er seine Hand in den Käfig, zog
    eine Ratte heraus und warf sie quer durchs Zimmer. Es war ein
    Riesenvieh, dick wie der Oberschenkel eines Mannes, aber unge-
    heuer wendig, und es flitzte auf die Zimmerecke zu, in der ein
    zerschundener dreibeiniger Hocker stand. Doch die Hündin war
    schneller. Noch bevor die Ratte

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