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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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den Raum durchquert hatte,
    stürzte sich die Hündin auf sie und packte sie. Die Ratte ver-
    suchte, sich aus dem Maul herauszuwinden, doch die Hündin
    biss mit solcher Kraft zu, dass Tom das Krachen der Knochen
    hörte. Der Körper der Ratte erschlaffte schlagartig. Umstandslos
    legte die Hündin die Ratte zu Toms Füßen und wartete.
    In dieser Nacht biss sie zwanzig der unverkauften Ratten tot.
    Und jedes Mal, selbst als Tom zehn auf einmal herausholte,
    machte sie sich absolut lautlos ans Werk. Dabei legte sie eine
    kühle Entschlossenheit an den Tag, die Tom noch bei keinem
    anderen Kampfhund gesehen hatte, ja nicht einmal bei den
    blitzschnell arbeitenden Schlachtern auf dem Smithfield-Markt.
    Es war die Entschlossenheit von Geschäftsleuten, jenen bebrill-
    ten Angestellten, die mit gestärktem Hemdkragen, angekettetem
    Hauptbuch und verkniffenem Mund auf ihrem Weg zu den Kon-
    toren in der City täglich die London Bridge überquerten. Die Old
    Lady von der Threadneedle Street, dachte er bei sich und
    schmunzelte. Obwohl, Lady würde genügen. Als sie fertig war,
    nahm er Lady auf den Schoß, tauchte einen Lumpen in einen
    Wasserkessel, der neben dem erlöschenden Feuer langsam ab-
    kühlte, und wischte ihr sanft das Blut vom Gesicht. In jener
    Nacht ließ sie im Schlaf die Schnauze in seine Armbeuge gebettet.

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    Zwei Tage später nahm er sie mit in die Abwasserkanäle.
    Sie wurden bald zu einer vertrauten Erscheinung, der Lang-
    armige Tom und die sonderbare Hündin, die ihrem Herrn wie
    ein Schatten folgte. In den Schenken und Kaffeehäusern, die
    Tom aufsuchte, lag sie immer unter seinem Stuhl, das Kinn auf
    seinen Füßen. Auch wenn sich die anderen Gäste nicht für sie er-
    wärmen konnten, gewöhnten sie sich doch an sie. Lady knurrte
    und bellte nicht wie andere Hunde, sondern blieb immer lautlos
    wie der Tod, aber sie war für andere ein hässlicher und abweisen-
    der Köter. Wenn man ihr zu nahe kam, wich sie zurück wie ein
    der Muttermilch frisch entwöhntes Kind und versteckte sich un-
    ter Toms Mantel. Nicht selten teilte Tom sein Essen mit dem Tier
    und schob ihm dabei die saftigsten Fleischbrocken zu. Manche
    sagten, eine so innige Zuneigung zu einem stummen Geschöpf
    sei ein sicheres Zeichen dafür, dass der Betreffende bald ins Gras
    beißen werde. Wenn es Tom erwischte, würden sie ihn vermis-
    sen, da waren sich alle einig. Tom war ein schweigsamer Bursche,
    ein Mann, der nicht viel Federlesens machte, aber er gehörte
    zu dem London, das sie bewohnten, wie der Gestank aus den
    Gullys. Wenn der Langarmige Tom seinen letzten Atemzug tat,
    ging eine Ära zu Ende. Keine Kanaljäger würden mehr in seine
    Fußstapfen treten, seine Spuren würden sich verwischen. Die
    Stadt veränderte sich und damit auch ihr Leben. So viel stand
    fest.

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VII

    P olly hatte nicht ganz Unrecht damit gehabt, dass eine geregelte
    Arbeit William gut tun würde, auch wenn es in dem allgemeinen
    Durcheinander, das in den Büros der Greek Street herrschte, we-
    nig Gleichmaß gab und die Geldmittel keineswegs regelmäßig
    flossen, zumindest nicht für den Sektor der öffentlichen Bauar-
    beiten. Das Amt war gegründet worden, um aus dem London,
    das in Lärm und Verkehrschaos zu ersticken drohte, eine Stadt zu
    machen, in der Wasser, Luft, Menschen und Waren frei und un-
    gehindert zirkulieren konnten. Das vorrangige Ziel war der Bau
    eines Kanalnetzes, das die Versorgung mit sauberem Trinkwasser
    und eine funktionierende Abwasserbeseitigung gewährleistete.
    Ein wahrhaft gewaltiger Plan. Aber das Parlament hatte es nicht
    für notwendig erachtet, die Behörde mit den finanziellen und ad-
    ministrativen Befugnissen auszustatten, um ein so groß angeleg-
    tes Projekt auch durchführen zu können. So verzettelte man sich
    in endlosen Auseinandersetzungen mit der Stadtverwaltung, die
    jede einzelne Ausgabe genehmigen musste. Es wurden Vorschläge
    unterbreitet, in Frage gestellt, zerredet und wieder zurückgezo-
    gen, um sie neu zu überdenken. Empfehlungen wurden mit Ver-
    weis auf die hohen Kosten, den zu großen Aufwand oder aus
    Prinzip, häufig aber auch nur aus Lust am Neinsagen blockiert.
    Sitzungen wurden einberufen, in denen die Beschlüsse vorausge-
    gangener Sitzungen wieder über den Haufen geworfen wurden.
    Und wenn schließlich doch einmal ein Plan bewilligt wurde,
    blieb er im Sumpf politischen Taktierens stecken oder wurde in
    den sich endlos drehenden Mühlen der Bürokratie

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