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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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woraufhin Tom die Hündin los-
    ließ. Schnell wie der Blitz schoss sie durch den Ring, tauchte den
    Kopf in den wogenden Haufen und zog ihr erstes Opfer heraus.
    Es waren enorm große Ratten, mit Schädeln groß wie Orangen,
    aber gegen Ladys Geschick und Schnelligkeit konnten sie nichts
    ausrichten. Die Tiere wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Lady
    biss ihnen die Kehle durch und schleuderte ihre leblosen Körper
    auftrumpfend beiseite wie ein Straßenhändler, der sich über ein
    Brathuhn hermacht. Tom im Kreidekreis des Sekundanten, den
    er nicht verlassen durfte, konnte nur dastehen und zusehen. Und
    noch immer zeigte Lady keine Müdigkeit. Packen und fort-
    schleudern. Packen und fortschleudern. Je mehr der Boden mit
    Blut bespritzt und mit Rattenkadavern übersät war, desto lauter
    wurden die Rufe und desto heftiger wurde mit den Füßen ge-
    stampft, bis der ganze Raum erbebte. Tom wandte sich nicht zur
    Loge um, sein Blick war ganz auf Lady konzentriert, fast als wäre
    er an ihrer Stelle. Und so sah er nicht, dass der Captain zwar voll-
    kommen reglos dastand, aber seine Wolfsaugen funkelten und
    der Schweiß auf seiner Stirn glänzte wie Eis an einer Fenster-
    scheibe. Die Arme seitlich herabhängend, hatte er die Hände zu
    Fäusten geballt, die Knöchel weiß im Vorgefühl des Sieges.

    222
    »Und Ende!«, rief Brassey.
    Das Geschrei war jetzt ohrenbetäubend. Tom schnippte mit
    den Fingern, und augenblicklich ließ Lady die Ratte in ihrem
    Maul fallen, so grazil wie eine Dame ihr Taschentuch, und setz-
    te sich auf die Hinterläufe, die Pfoten artig nebeneinander.
    Ringsum lagen dunkle Fellklumpen verstreut. Es würde eine of-
    fizielle Zählung geben, so war es üblich, aber Tom wusste auch
    so, dass Lady ihre Sache gut gemacht hatte. In der Arena waren
    zwanzig Ratten gewesen. Jetzt, eine Minute später, bewegte sich
    nur noch eine einzige Ratte im Ring. Sie beäugte Lady verdrieß-
    lich, bevor sie sich in der entfernten Ecke aufsetzte und anfing,
    sich mit ihren rosa Pfötchen die Spürhaare zu putzen. In aller
    Ruhe, als wären sie beide allein in den Tunneln, kniete Tom nie-
    der und streckte Lady die Arme entgegen. Sie warf sich hinein
    und lächelte ihn an, und ihr Schwanz zeichnete ein Muster auf
    den blutüberströmten Boden. Tom schloss die Augen. Sein Herz
    schlug zum Zerspringen. So verharrten sie, während Brasseys
    Gehilfe neben ihnen die Kadaver in seinen Korb zählte. Sie sahen
    nicht hinüber zu der Loge, wo der Captain grinste und nickte
    und seinen Freunden die Hand schüttelte, sofern sie noch dazu
    imstande waren. Sie hatten es geschafft. Lady war ein Champion.
    Sie würde mit dem Captain nach Hause gehen, und Tom würde
    als reicher Mann seiner Wege ziehen. Tom lief das Wasser im
    Mund zusammen, und vor seinen Augen verschwamm alles.
    »Neunzehn «,
    !
    verkündete der Bursche und warf den letzten
    Rattenkadaver in seinen Korb.
    Die Menge tobte. Es dauerte eine Weile, bis Brassey sie wieder
    beruhigt hatte. Die Gewinne würden im Schankraum unten im
    Erdgeschoss ausbezahlt, verkündete er. Hinter ihm auf der Trep-
    pe erscholl Stiefelgetrappel, während im Umkreis der Arena im-
    mer noch Kampfbegeisterte in Grüppchen zusammenstanden
    und lebhaft debattierten – über die lautlose Hündin und den ver-

    223
    mutlichen Reichtum, den der Kanaljäger mit dem Wettgeld des
    Captain gewinnen würde, über die Frage, ob es wirklich wahr sei,
    dass dieselbe Hündin bei dem alten, inzwischen verstorbenen Je-
    remiah, dem Omnibuskutscher, so kläglich versagt hatte, über ih-
    ren Stammbaum und darüber, ob es noch andere Hunde gab, die
    man zu so hervorragenden Kämpfern machen könnte. In all dem
    Trubel saß nur ein einziger Mann stumm und reglos da, den Kopf
    so stark nach vorn gebeugt, dass die Halswirbel hervortraten. Der
    Hund, den der lte im
    A
    Schoß hatte, war kaum zu sehen.

    »Eine beeindruckende Darbietung.«
    Neben Tom stand breitbeinig der Captain und streckte ihm
    die Hand entgegen. Widerstreb n
    e d griff Tom danach und schüt-
    telte sie, ohne dem anderen in die Augen zu sehen.
    »Einhundert Guineen«, sagte Tom mit versagender Stimme.
    Er räusperte ich
    s
    und versuchte es n

    och einmal. »Einhundert
    Guineen.«
    Der Captain lächelte sein Wolfslächeln und beklopfte seine
    Manteltaschen.
    »Das ist viel Geld«, sagte er kühl. »Besser, wir regeln die Sache
    unter Ausschluss der Öffentlichkeit, meinst du nicht auch?«
    Lady in den Armen, folgte Tom dem Captain

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