Der Vermesser
woraufhin Tom die Hündin los-
ließ. Schnell wie der Blitz schoss sie durch den Ring, tauchte den
Kopf in den wogenden Haufen und zog ihr erstes Opfer heraus.
Es waren enorm große Ratten, mit Schädeln groß wie Orangen,
aber gegen Ladys Geschick und Schnelligkeit konnten sie nichts
ausrichten. Die Tiere wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Lady
biss ihnen die Kehle durch und schleuderte ihre leblosen Körper
auftrumpfend beiseite wie ein Straßenhändler, der sich über ein
Brathuhn hermacht. Tom im Kreidekreis des Sekundanten, den
er nicht verlassen durfte, konnte nur dastehen und zusehen. Und
noch immer zeigte Lady keine Müdigkeit. Packen und fort-
schleudern. Packen und fortschleudern. Je mehr der Boden mit
Blut bespritzt und mit Rattenkadavern übersät war, desto lauter
wurden die Rufe und desto heftiger wurde mit den Füßen ge-
stampft, bis der ganze Raum erbebte. Tom wandte sich nicht zur
Loge um, sein Blick war ganz auf Lady konzentriert, fast als wäre
er an ihrer Stelle. Und so sah er nicht, dass der Captain zwar voll-
kommen reglos dastand, aber seine Wolfsaugen funkelten und
der Schweiß auf seiner Stirn glänzte wie Eis an einer Fenster-
scheibe. Die Arme seitlich herabhängend, hatte er die Hände zu
Fäusten geballt, die Knöchel weiß im Vorgefühl des Sieges.
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»Und Ende!«, rief Brassey.
Das Geschrei war jetzt ohrenbetäubend. Tom schnippte mit
den Fingern, und augenblicklich ließ Lady die Ratte in ihrem
Maul fallen, so grazil wie eine Dame ihr Taschentuch, und setz-
te sich auf die Hinterläufe, die Pfoten artig nebeneinander.
Ringsum lagen dunkle Fellklumpen verstreut. Es würde eine of-
fizielle Zählung geben, so war es üblich, aber Tom wusste auch
so, dass Lady ihre Sache gut gemacht hatte. In der Arena waren
zwanzig Ratten gewesen. Jetzt, eine Minute später, bewegte sich
nur noch eine einzige Ratte im Ring. Sie beäugte Lady verdrieß-
lich, bevor sie sich in der entfernten Ecke aufsetzte und anfing,
sich mit ihren rosa Pfötchen die Spürhaare zu putzen. In aller
Ruhe, als wären sie beide allein in den Tunneln, kniete Tom nie-
der und streckte Lady die Arme entgegen. Sie warf sich hinein
und lächelte ihn an, und ihr Schwanz zeichnete ein Muster auf
den blutüberströmten Boden. Tom schloss die Augen. Sein Herz
schlug zum Zerspringen. So verharrten sie, während Brasseys
Gehilfe neben ihnen die Kadaver in seinen Korb zählte. Sie sahen
nicht hinüber zu der Loge, wo der Captain grinste und nickte
und seinen Freunden die Hand schüttelte, sofern sie noch dazu
imstande waren. Sie hatten es geschafft. Lady war ein Champion.
Sie würde mit dem Captain nach Hause gehen, und Tom würde
als reicher Mann seiner Wege ziehen. Tom lief das Wasser im
Mund zusammen, und vor seinen Augen verschwamm alles.
»Neunzehn «,
!
verkündete der Bursche und warf den letzten
Rattenkadaver in seinen Korb.
Die Menge tobte. Es dauerte eine Weile, bis Brassey sie wieder
beruhigt hatte. Die Gewinne würden im Schankraum unten im
Erdgeschoss ausbezahlt, verkündete er. Hinter ihm auf der Trep-
pe erscholl Stiefelgetrappel, während im Umkreis der Arena im-
mer noch Kampfbegeisterte in Grüppchen zusammenstanden
und lebhaft debattierten – über die lautlose Hündin und den ver-
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mutlichen Reichtum, den der Kanaljäger mit dem Wettgeld des
Captain gewinnen würde, über die Frage, ob es wirklich wahr sei,
dass dieselbe Hündin bei dem alten, inzwischen verstorbenen Je-
remiah, dem Omnibuskutscher, so kläglich versagt hatte, über ih-
ren Stammbaum und darüber, ob es noch andere Hunde gab, die
man zu so hervorragenden Kämpfern machen könnte. In all dem
Trubel saß nur ein einziger Mann stumm und reglos da, den Kopf
so stark nach vorn gebeugt, dass die Halswirbel hervortraten. Der
Hund, den der lte im
A
Schoß hatte, war kaum zu sehen.
»Eine beeindruckende Darbietung.«
Neben Tom stand breitbeinig der Captain und streckte ihm
die Hand entgegen. Widerstreb n
e d griff Tom danach und schüt-
telte sie, ohne dem anderen in die Augen zu sehen.
»Einhundert Guineen«, sagte Tom mit versagender Stimme.
Er räusperte ich
s
und versuchte es n
och einmal. »Einhundert
Guineen.«
Der Captain lächelte sein Wolfslächeln und beklopfte seine
Manteltaschen.
»Das ist viel Geld«, sagte er kühl. »Besser, wir regeln die Sache
unter Ausschluss der Öffentlichkeit, meinst du nicht auch?«
Lady in den Armen, folgte Tom dem Captain
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