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Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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wurden, war Lady eingeschlafen.
    Sie blinzelte Tom benommen an, als er sie weckte. Warum hatte
    er bloß nicht daran gedacht, sie wach zu halten, schalt er sich
    wütend. Er hätte sie mit irgendetwas beschäftigen sollen, um
    ihre Aufmerksamkeit zu schärfen. Jetzt, nach diesem Nicker-
    chen, war sie gewiss langsamer als sonst. Tom war aufgeregt und
    zugleich entmutigt. Oben angelangt, stellte er die Hündin auf
    das Podest und trat zurück. Sofort scharte sich das Publikum um
    sie, schaute ihr ins Maul und betastete ihre Pfoten. Als das erle-
    digt war, drängelten sich die Kampfbegeisterten rempelnd und
    schubsend um Brassey und flüsterten ihm ins Ohr, und der Wirt
    nickte und kritzelte die Wetteinsätze auf ein gefaltetes Stück Pa-
    pier. Er bemühte sich zwar um eine feierliche, dem gewichtigen
    Anlass angemessene Miene, aber der Triumph stand ihm ins Ge-
    sicht geschrieben. Murmelnd wurden Kommentare und bedeu-
    tungsvolle Blicke gewechselt. Die Arena war blutverschmiert. In
    einer Ecke wischte sich Brasseys Gehilfe die Nase am Handrü-
    cken ab und warf tote Ratten, die er an de S
    n chwänzen packte, in
    einen morschen Korb.
    Der Captain und seine Begleiter in ihrer Loge trommelten un-
    geduldig auf die Bretterwand der Arena. Neben ihnen auf der
    Ablage hatte sich ein ganzes Arsenal aus Flaschen und schmutzi-
    gen Gläsern angesammelt. Einem der Herren hing der Kopf selt-
    sam schief, als würde er ihm gleich herunterfallen, und seine
    Wangen waren grün wie Brunnenkresse. Der Captain versetzte
    ihm einen sanften Stoß, und sichtlich bemüht, den Kopf gerade
    zu halten, fingerte der grüngesichtige Herr einen Geldschein aus
    seiner Brieftasche und hielt ihn wedelnd dem Captain hin, als
    wäre diese Banknote der Grund für all seinen Kummer und der
    Captain müsste ihm die Ehre erweisen, ihn anzunehmen. Der

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    Captain bleckte die Zähne zu seinem Wolfslächeln, nahm den
    Schein, faltete ihn sorgfältig und klopfte dem grüngesichtigen
    Herrn auf die Schulter, dass er beinahe hinfiel. Er taumelte gegen
    die Wand, glitt mehr durch Glück als durch Zielgenauigkeit auf
    den Stuhl, der neben ihm stand, und schloss die Augen.
    Brasseys Gehilfe läutete ein Glöckchen zum Zeichen, dass
    jetzt keine Wetten mehr entgegengenommen wurden, während
    Brassey ein paar letzte Notizen auf seinem Papier machte. Dann
    nickte er Tom zu. Die Zuschauer drängten sich näher an die
    Arena heran und schubsten einander mit den Ellbogen, um einen
    guten Platz zu ergattern. Wütende Flüche wurden ausgestoßen,
    Gläser verschüttet. Dann klatschte Brassey in die Hände, und es
    wurde still.
    »Und nun, meine Herren, ist der Augenblick gekommen, auf
    den wir alle gewartet haben. Der Höhepunkt dieses erfreulichen
    Abends, an dem die Favoritin des ganzen Bezirks, uns Sports-
    freunden schlicht unter dem Namen Lady bekannt, antritt, um
    achtzehn große Ratten in einer einzigen Minute zu töten.«
    Er nickte seinem Gehilfen zu, der den Drahtkäfig mit den Rat-
    ten in die Arena hob. Es waren nicht Toms Ratten. Brassey zu-
    folge hatte der Captain auf diesem Detail bestanden, damit alles
    ehrlich zuging. Trotz seiner fiebrigen Aufregung fragte sich Tom,
    woher und zu welchem Preis Brassey die Viecher wohl bekom-
    men hatte. Der Gehilfe öffnete die Käfigtür, steckte die Hand hi-
    nein und rührte in der wogenden Masse wie in einem Brei. Der
    grüngesichtige Herr beobachtete die Szene mit vor Entsetzen
    verzerrtem Gesicht, um dann ganz gemächlich seinen Magen-
    inhalt in eine Ecke der Loge zu ergießen. Keiner seiner Begleiter
    zollte ihm auch nur die geringste Beachtung. Vielmehr klopften
    sie einander auf die Schultern, die elegante Kleidung verrutscht,
    der Blick gierig nach Blut. Nur der Captain verharrte reglos, die
    Augen starr auf die Ratten gerichtet, die aus dem Käfig strömten

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    und sich zu einem wimmelnden schwarzen Knäuel am hinteren
    Ende der Arena sammelten.
    »Zwanzig!«, rief der Gehilfe und schloss den Käfig.
    Mit großer Gebärde kletterte Brassey auf einen Stuhl dicht ne-
    ben der Loge der Herrschaften, zog eine Taschenuhr aus seiner
    Weste und hob, um Ruhe bittend, die Hand. Das Publikum hielt
    den Atem an, als Tom mit Lady auf dem Arm über die Wand des
    Kampfplatzes kletterte. Die Hündin gab keinen Muckser von
    sich, doch beim Anblick der Ratten sträubte sich ihr das Fell,
    und ihre Beine fingen an zu vibrieren wie die Saiten einer Fiedel.
    »Achtung! Und los!«
    Brassey gab das Startsignal,

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