Der Vermesser
geregelt. Hier, siehst du?«
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Tom beäugte misstrauisch das Dokument, das ihm der Captain
hinhielt. Oben auf der Seite befanden sich kunstvoll verschnör-
kelte Buchstaben, ein Stempel und ein Siegel, beide mit demsel-
ben Aufdruck. Der Text war in zwei Absätze gegliedert und in di-
cker schwarzer Tinte geschrieben. Tom wurde nicht schlau
daraus. »Ich halte nichts von diesem Papierkram«, murmelte er.
»Na, das muss sich aber schleunigst ändern, jetzt, wo du ein
gemachter Mann bist«, sagte der Captain, und die Gaslampe be-
schien seine scharfkantigen Zähne. »Wenn man Geld hat, ist das
Gesetz nicht mehr Widersacher, sondern Freund. Hab ich Recht,
Mr. Brassey?«
Brassey nickte und drehte den Kopf zwischen den Schultern
hin und her. Ein Grinsen überzo
g sein Gesicht. »In der Tat, Sir«,
pflichtete er ihm beflissen bei. »In der Tat.«
»Mr. Brassey kennt sicherlich Dokumente dieser Art. Aber
vielleicht möchtest du zuerst selbst einen Blick darauf werfen,
Tom?«
Tom starrte auf das Blatt, dessen schwarze Buchstaben wie
Ameisen über die cremefarbene Oberfläche krochen. Vierzig
Guineen! Vierzig Guineen waren an sich schon ein kleines Ver-
mögen, und an dem Schriftstück, das übersät war mit Stempeln,
Wachs, Unterschriften und was sonst noch allem, konnte er
nichts Verdächtiges finden. Aber es juckte ihn im Nacken; er
drückte Lady fest an sich. Ihr Körper wärmte ihm die Brust. »Ich
will mein Geld«, wiederholte er stur. »Und zwar alles.«
»Ah«, seufzte der Captain. »Natürlich.« Er wog den Beutel mit
dem Geld in der Hand. »Selbstverständlich bleibt es dir überlas-
sen, ob du meine Bedingungen annimmst oder nicht. Entweder
du akzeptierst einhundert Guineen, zahlbar binnen drei Wo-
chen, oder . . nun ja, sagen wir mal, ich würde es mir sehr genau
überlegen, ob ich nicht mit jemand anderem einen vorteilhafte-
ren Handel abschließen könnte.« Er wog den Beutel ein letztes
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Mal in der Hand und tat, als wollte er ihn wieder einstecken. »Es
überrascht mich, dass du bereit bist, dir eine so große Summe
entgehen zu lassen. Aber, wie gesagt, die Entscheidung liegt ganz
allein bei dir.«
»Tom!«, drängte Brassey und verdrehte die Augen. »Du belei-
digst den Captain. Hier geht es schließlich nicht um eine Hand
voll Halfpence. Dieser Vertrag wurde von richtigen Anwälten
vor einem ordentlichen Gericht aufgesetzt. Absolut wasserdicht,
soweit ich sehe. Völlig in Ordnung. Sieh her, ich für meinen Teil
werde jetzt unterschreiben.«
»Mein Lieber, mein Lieber.« Der Captain klopfte Brassey jo-
vial auf die Schulter. »Tom?«
Lady leckte Toms Ohr. Ihr heißer Atem roch metallisch nach
Blut. Ganz unvermittelt streckte er die Arme aus und ließ die
Hündin in die Arme des überraschten Captain fallen. Der zuckte
zurück und setzte sie hastig auf dem Boden ab. Tom sah sie nicht
an. Er brachte es einfach nicht über sich.
»Nehmen Sie sie. Nehmen Sie sie nur.« Er streckte die Hand
aus, und der Captain legte den Beutel mit dem Geld hinein. »Al-
lerdings will ich dieses Schriftstück haben.«
»Aber gewiss doch.«
Der Captain unterschrieb mit einem Schnörkel und reichte
Tom die Feder. Er zögerte, die Feder in der Hand.
»Und wenn Sie nicht a
z hlen, bekomm ich sie zurück.«
»Auf jeden Fall.«
Tom tippte auf das Papier, als würde er es rasch
überfliegen,
und setzte dann seine unbeholfene Unterschrift darunter.
»Ausgezeichnet«, sagte der Captain fröhlich. »Ich glaube, da-
mit haben wir̕s. Tom, wir sehen uns heute in einer Woche mit der
nächsten Rate. Es war mir ein Vergnügen, mit dir handelseinig
zu werden. Brassey, nehmen Sie den Hund. Ich schicke morgen
früh jemanden vorbei, um ihn abzuholen.«
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Brassey packte Lady am Halsband und machte Anstalten, das
Krötengesicht ekelverzerrt, sie aus dem Schankraum zu ziehen.
Sie stemmte sich mit den Hinterbeinen dagegen und sah Tom
mit einem Ausdruck flehender Verwirrung an. Tom wandte den
Blick zum Kamin und starrte die staubige ausgestopfte Beauty in
ihrem Glaskasten an. Sein Mund war wie ausgedörrt. Er hörte,
wie Brassey seinen Gehilfen rief und ihn anwies, Lady in den Hof
hinter der Taverne zu bringen, drehte sich aber nicht um. Er
hörte das Kratzen ihrer Krallen auf den Holzdielen und dann die
schweren Schritte des Gehilfen, als er auf dem Steinboden durch
den schmalen Flur stapfte. Es kam ihm merkwürdig vor, dass er
überhaupt etwas hörte, so laut
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