Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Vermesser

Der Vermesser

Titel: Der Vermesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
Vom Netzwerk:
nächster Gele-

    243
    genheit an die Ziegelei in Battersea zu überbringen. Bevor der
    Bote gegangen war, tippte sich William mit dem Bleistift unge-
    duldig an die Zähne und überlegte, wann er wohl mit einer Ant-
    wort rechnen könne.
    »Ihr Bericht, Mr. May, Sir.«
    Donald Hood stand hinter William und schwenkte trübselig
    ein Bündel Papiere in der Hand. Hood war ein blässlicher
    Mensch mit fettiger Haut. Die lange Nase hing ihm wie ein ge-
    ronnener Kerzentropfen im Gesicht, und seine schiefen Schul-
    tern erweckten den Eindruck, als wäre bei seiner Erschaffung das
    Kerzenwachs, aus dem er gebildet war, auf der einen Seite stärker
    geschmolzen.
    »Und?«, fragte William gebieterisch, drehte sich um und stu-
    dierte, nach den Blättern greifend, das Gesicht des Lehrlings.
    »Haben Sie etwas entdeckt?«
    »Wie Sie schon vermuteten, Sir, gibt es Anzeichen für ein wei-
    teres Absinken des Untergrunds.« Hood sprach mit näselnder,
    aber sonst völlig ausdrucksloser Stimme und artikulierte jedes
    Wort mit exakt derselben Betonung. »Seit der Inspektion im ver-
    gangenen Juni hat sich der Zustand des westlichen Tunnelab-
    schnitts merklich verschlechtert ...«
    »Ja, ja, aber haben Sie irgendetwas gefunden? Etwas von Be-
    deutung?«
    »Nun, ja, Sir. Eine erste Untersuchung der Ablagerungen
    scheint
    r
    da auf hinzudeuten, dass es ein regelrechter e
    V rstoß ge-
    gen die Anweisungen der Behörde wäre, wenn ...«
    »Haben Sie eine vo lständig
    l
    e Bestandsaufnahme gemacht?
    Auch aller kleineren Kanäle?«
    Hoods Schulter sank noch ein Stück tiefer, und sein Mund
    verzog sich in vorwurfsvoller Trauer. »Entschuldigen Sie, Sir,
    aber wenn Sie mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf die An-
    weisungen der Behörde vom September dieses Jahres zu richten,

    244
    wird auch Ihnen klar werden, dass jetzt nicht einmal mehr die
    Ausspüler die kleineren Kanäle betreten dürfen, die ja besonders
    gefährlich sind, Sir.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie nicht dort waren?«
    »Allerdings, Sir.« Hood blinzelte träge, und seine wächsernen
    Lider schienen n
    u ter den vorquellenden Augen zu schmelzen. Er
    schüttelte den Kopf. »Das wäre ein klarer Verstoß ...«
    »O mein Gott!«
    William konnte seine Ungeduld nicht mehr beherrschen. Er
    entriss dem verdutzten Lehrling die Schriftstücke und hieß ihn
    gehen. Es war nichts zu machen. Er musste selbst hinunterstei-
    gen. Die Tinte auf dem Vertrag mit Strowbridge war kaum tro-
    cken. Wenn man ihn fragen würde, würde er sagen, Hoods Be-
    merkung über die bröckelnden Backsteine habe ihn beunruhigt.
    Ihm würde schon etwas einfallen. Aber er konnte nicht allein ge-
    hen. Wenn er keinen Verdacht erregen wollte, musste er die von
    Hood zitierten Richtlinien der Baubehörde aufs Wort befolgen.
    Außerdem würde er Zeugen brauchen. Er griff nach seinem
    Mantel, humpelte, so schnell er konnte, die Treppe hinauf in die
    Abteilung, wo er bis vor kurzem selbst eine Arbeitsnische gehabt
    hatte, und warf einen vorsichtigen Blick in den Raum. Die Tür
    zu Hawkes Büro stand offen, zu seiner Erleichterung war jedoch
    weder Hawke irgendwo zu sehen noch der junge Schreiber, der
    ihm als Türsteher diente.
    William durchmaß den Raum und nickte den zwei, drei Män-
    nern zu, die die Köpfe hoben, als er vorbeiging. Sie antworteten
    ihrerseits mit einem angedeuteten Nicken und verschwendeten,
    wie immer, keinen weiteren Gedanken an ihn. An der hinteren
    Wand hingen Tabellen und Schautafeln, die die Abschnitte des
    Tunnelprojekts darstellten, an denen gerade gearbeitet wurde.
    Schnell fand William, wonach er suchte. Eine Gruppe von Aus-
    spülern sollte laut Plan kurz nach zwei Uhr in den Abschnitt am

    245
    Regent Circus hinuntersteigen. Er sah auf die Uhr. Ihm blieben
    noch mindestens dreißig Minuten Zeit. William eilte zur Treppe,
    wo er fast mit Hawkes jungem Schreiber zusammengestoßen
    wäre. Er trug eine Schüssel in der Hand, über die ein fleckiges
    Tuch gebreitet war.
    »Wollten Sie schon wieder zu Mr. Hawke, Sir?«, fragte Spratt,
    und seine Augen blitzten neugierig. »Sie scheinen ein asochist
    M

    zu sein.«
    »Ich habe mit Mr. Hawke bereits alles besprochen, danke«,
    antwortete William steif. Spratt stand breitbeinig in der Tür und
    machte keine Anstalten, zur Seite zu treten. Er grinste höhnisch,
    als William sich an ihm vorbeidrückte, und sah dem Vermes-
    ser neugierig nach, der die Treppe hinunterhumpelte. Am unte-
    ren Treppenabsatz musste William kurz

Weitere Kostenlose Bücher