Der Vermesser
über die Wand
seiner chr
S
eibnische; seine Lesebrille funkelte im schummrigen
Licht.
»Sir?«
»Immer noch hier? Es ist schon spät. Sie sollten heim zu Ihrer
Familie.«
William lächelte gequält. Wieder einmal versetzte ihn der Ge-
danke an seinen Sohn in Unruhe, und es sträubten sich ihm die
Nackenhaare. Selbst der Anblick einer seiner am Boden liegen
gebliebenen Spielsachen rief ein Gefühl des Unbehagens in ihm
hervor, ohne dass er einen Grund dafür hätte nennen können.
Zu Hause war seine Angst um den lungen so groß, dass er ihn
am liebsten immer um sich haben wollte. Nachts sehnte er sich
danach, ihn bei sich und seiner Frau im Bett zu haben, aber Polly
hielt den Kleinen ganz bewusst von seinem Vater fern. Wenn
William etwas zu ihm sagte, glaubte er, Furcht in seinem Blick zu
erkennen, die Williams Unruhe nur noch schlimmer machte.
»Ia, Sir.«
»Also dann, gute Nacht.«
»Gute Nacht, Sir.«
William wartete. Er hörte, wie Lovick den Schreibern sein
»Gute Nacht« zumurmelte und die Treppe hinunterging. Dann
zog er den Papierstapel zu sich heran und holte das Notizheft da-
runter hervor. Zufällig erwischte er auch ein Blatt Papier mit
dem Schriftzug England & Son auf dem Briefkopf. Und plötzlich
durchfuhr es ihn. Die diffuse Unruhe verdichtete sich zu einem
Strudel, der durch seine Eingeweide jagte. An jenem Abend war
er England begegnet. Es war zu einem Streit gekommen. Eng-
land hatte gedroht, Williams Sohn etwas anzutun. Sein Sohn
war in Gefahr. Mit fliegender Hast warf William sein Notizheft
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in die Schublade, schloss ab und zog den Schlüssel heraus. Er
musste nach Hause. Sein lädiertes Bein nachziehend, humpelte
er, so schnell er konnte, aus dem Zimmer, und er war fast schon
die Treppe unten, als es ihm dämmerte. Seit jenem Abend waren
mehr als zwei Wochen vergangen. Der Vertrag mit Strowbridge
war zwei Tage nach dieser Begegnung abgeschlossen worden.
Wenn England vorgehabt hatte, Williams Sohn, ihm selbst oder
seiner Frau etwas anzutun, wäre das längst passiert. William be-
ruhigte sich ein wenig. Vielleicht hatte England nie die Absicht
gehabt, seine Drohung wahr zu machen. Er wollte William si-
cher nur Angst einjagen, damit er ihm den Auftrag gab. Aber den
Auftrag hatte eine andere Firma bekommen. Welchen Sinn hatte
es für England jetzt noch, seinen Ruf aufs Spiel zu setzen und
Williams Familie zu zerstören? Dafür war es jetzt zu spät. Sein
Sohn war außer Gefahr.
Und dennoch. Die Hand auf dem blank polierten Geländer,
blieb William stehen. Nachdenklich machte er kehrt und ging
wieder nach oben.
In Hawkes Büro war es dunkel. Im fahlen Licht der Straßenla-
terne schrieb ihm William eine Nachricht, dass er ihn am folgen-
den Tag zu sprechen wünsche, wann immer Hawke Zeit habe.
Dann ging er nach Hause. Er hörte Polly in der Küche hantieren.
William zog leise die Stiefel aus und schlich sich nach oben. Der
kleine Di lag schlafend in seinem Bettchen, das Haar zerzaust,
die Ärmchen ausgebreitet. William betrachtete ihn eine Weile,
schließlich legte er sich neben ihn, vorsichtig, um ihn nicht auf-
zuwecken. Der warme Atem des Jungen roch nach frisch geba-
ckenem Brot. Wenn ihm irgendetwas zustoßen würde ... Wil-
liam konnte den Gedanken kaum ertragen. Als Polly ihn fand,
schlief auch er tief und fest. Ihr erster Impuls war, ihn wach zu
rütteln und aus dem Zimmer zu scheuchen, doch dann hielt sie
zögernd inne. William hatte den Arm um seinen Sohn gelegt,
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dessen pummeliges Händchen wie ein Seestern auf den Arm sei-
nes Vaters gebettet war. Ihre Haare berührten sich auf dem Kopf-
kissen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in einträchtig ruhi-
gem Rhythmus. Seufzend zog Polly die Decke hoch, so dass
beide zugedeckt waren, und ging dann selbst zu Bett.
Am nächsten Tag ließ Hawke William ausrichten, er habe kurz
vor Mittag Zeit für ihn. Auf dem Weg zu Hawkes Büro kämmte
sich William kurz das Haar und richtete seine Halsbinde. Doch
als er vor der Tür stand, war Hawke noch beschäftigt, und Wil-
liam musste ziemlich lange warten. Er saß auf einem unbeque-
men Stuhl, der eigens für ihn bereitgestellt worden war. Seine
Hände bewegten sich rastlos im Schoß. Der junge Schreiber, der
in der Schreibnische vor Hawkes Tür saß, musterte ihn mit unver-
schämter Miene von oben bis unten, während er seine schmut-
zigen Fingernägel mit einem Brieföffner säuberte. Endlich wur-
de William
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