Der Vermesser
hatte geglaubt, es sei die einfachste, natür-
lichste Sache der Welt. Für Polly war es mit dem Glück genau
das Gleiche wie mit der Tugendhaftigkeit. Es behielt immer
die Oberhand. Es konnte auf die Probe gestellt werden wie im
Märchen, wo Kinder ihre Ehrlichkeit unter Beweis stellen muss-
ten; aber wie die Tugendhaftigkeit würde auch das Glück am
Ende siegen, wenn diejenigen, die an dieses Glück glaubten,
sich nur entschlossen genug von denen abwandten, die es in Ge-
fahr brachten.
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Der Krimkrieg war eine solche Prüfung gewesen. Und Polly
hatte gewartet und alles ertragen, bis die warmen Strahlen des
Glücks und der Hoffnung die grauen Gespenster dieses Krieges
vertrieben wie die Sonne den Morgennebel. Eine Zeit lang waren
sie wieder glücklich gewesen. Aber jetzt infizierten sein Unglück
und Elend wie ein giftiger schwarzer Pesthauch alles, was mit
ihm in Berührung kam. Ihr Lachen vermochte diese Düsternis
nicht zu erhellen. Ihre zärtlichen Küsse zerfielen zu Asche. Ihre
aufmunternden Worte und ihr heiterer Gesang verhallten unge-
hört, der Fröhlichkeit und jeden Sinns beraubt. Diese Macht war
zu stark für sie, zu grausam. Und so wurde ihr Lachen bitter, und
die Züge um ihren Mund wurden hart, und ihre Lippen runde-
ten sich nicht mehr zu einem Kuss. Der Gesang blieb ihr in der
Kehle stecken und drohte sie zu ersticken. In der Düsternis sei-
nes Unglücks verlor sie nicht nur ihren Mann aus dem Blick,
sondern auch sich selbst.
All dies entging William nicht, und er hielt es in seinem
Notizheft fest. Täglich durchforstete er die Zeitungen nach einer
Nachricht über die Geschehnisse jenes Abends. Doch er fand
keine Meldung über eine Leiche, die man aus den Abwasserkanä-
len geborgen hatte, geschweige denn über einen Vermissten.
Doch Williams Gewissheit wuchs. Er war nicht verrückt. Es war
ein Mord geschehen. An jenem Abend war in den Tunneln je-
mand ermordet worden. Irgendwo in den unterirdischen Kanä-
len gab es eine Leiche. In seinem neuen Arbeitsbereich gab es kei-
nen plausiblen Grund für ihn, die Abwasserkanäle aufzusuchen,
aber er würde schon einen Vorwand finden. Zum Beispiel die
Überprüfung von Messungen oder die Beschwerde eines Haus-
besitzers, die Fundamente würden absinken. Am Rande hatte
er noch immer mit dem Strowbridge-Vertrag zu tun. Eilig ließ
er Donald Hood, einen der Lehrlinge, kommen und beauftragte
ihn mit einer genauen Überprüfung des Tunnelabschnitts zwi-
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schen Regent Circus und den Seven Dials. Er verlangte einen
schriftlichen Bericht bis Ende der Woche.
Am Donnerstag hatte er noch immer keine Nachricht von
Hood. An jenem Abend saß William in seiner Schreibnische,
lange nachdem der letzte Ingenieur nach Hause gegangen war,
und starrte in sein Notizheft. Er hatte gehört, wie ein Mann
starb. Ertränkt?, schrieb er. Und darunter: Oder erwürgt? Erst
viel später, als er das leise Röcheln des Mannes immer und im-
mer wieder in seinem Gedächtnis wachrief, erkannte er, dass er
einen Fehler gemacht hatte. Er strich die beiden Sätze durch,
dachte einen Augenblick nach und schrieb dann mit dickem
schwarzem Bleistift, indem er
sehr fest aufdrückte: Kehle durchgeschnitten. Das unterstrich er zwei Mal.
Lange starrte er auf die Wörter, die er geschrieben hatte. Am
liebsten hätte er die Zeit angehalten, damit er still hier sitzen
bleiben konnte, während die Stimmen in seinem Kopf ver-
stummten. Damit er niemals mehr aufstehen, seinen Mantel an-
ziehen und nach Hause zurückkehren musste, um erneut den
Ausdruck von Abscheu und Entsetzen zu sehen, der sich in ihre
weichen Gesichtszüge eingegraben hatte. Aber die Zeit ließ sich
nicht anhalten, die Stimmen ließen sich nicht zur Ruhe bringen.
Und schließlich, als die Kerze heruntergebrannt war und sich
der schmierige Talg in einer dicken Lache auf dem Kerzenhalter
gesammelt hatte, schrieb William die Worte nieder, die er bis zu
diesem Augenblick nicht zu denken gewagt hatte.
Sie glaubt, ich hätte ihn getötet.
Lange saß er da, den Bleistift über dem Blatt, während sich die
Worte, die er als Nächstes niederschreiben würde, in seinem
Kopf zusammenballten. Mit zittriger Hand drückte er den Blei-
stift aufs Papier, und die Buchstaben, die er schrieb, waren kra-
kelig und dünn.
Habe ich ihn getötet?
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»May!«
Hastig schob William das aufgeschlagene Notizheft unter einen
Papierstapel und rappelte sich hoch. Lovick spähte
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