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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der gegenüberliegenden Seite des Vestibüls. Sie wurde geöffnet, das Mädchen sagte etwas, kehrte zurück und bat Charlotte, ihr zu folgen.
    Das Mädchen klopfte erneut an die Tür.
    »Herein.« Tyrones Stimme klang schroff.
    Das Mädchen öffnete und ließ Charlotte eintreten. Offenkundig war Tyrone bei der Arbeit. Zahlreiche Papiere lagen auf seinem großen Schreibtisch verstreut.

    Er erhob sich zu ihrer Begrüßung, ohne ein Hehl daraus zu machen, dass er sich gestört fühlte.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie. »Ich weiß, dass es spät ist und ich Sie überdies in Ihrem Hause aufsuche, ohne eingeladen worden zu sein. Aber die Sache duldet keinen Aufschub. Schon morgen würde es unter Umständen keine Möglichkeit mehr geben, etwas zu retten, sofern sich überhaupt noch etwas retten lässt.«
    Mit erkennbarer Ungeduld trat er von einem Fuß auf den anderen. »Ich bedaure zutiefst, Mrs Pitt, dass ich nicht weiß, auf welche Weise ich Ihnen behilflich sein könnte. Ich denke, ich werde dem Mädchen sagen, dass sie meine Frau dazuholt.« Das klang mehr nach einer Ausflucht als nach einem ernstgemeinten Vorschlag. »Sie hält sich bei einer Nachbarin auf und kann gleich hier sein.«
    »Ich muss aber Sie sprechen«, teilte sie ihm mit. »Vielleicht sollten Sie, um Ihren Ruf zu wahren, das Mädchen hereinbitten, auch wenn das, was ich mit Ihnen zu besprechen habe, vertraulich ist.«
    »In dem Fall dürfte es das Beste sein, wenn Sie mich während der Geschäftszeiten in meinem Büro aufsuchten.«
    Sie lächelte knapp und förmlich. »Die Vertraulichkeit betrifft ausschließlich Sie, Mr Tyrone. Das ist auch der Grund, warum ich gekommen bin.«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Ihre Vermutung gründete sich ausschließlich auf Narraways Zeichnung, denn außer ihr hatte sie nichts in der Hand.
    Entschlossen wagte sie den Sprung ins kalte Wasser. »Es geht um das für Mulhare bestimmte Geld, das Sie auf das Londoner Konto meines Bruders zurücküberwiesen haben. Das Ergebnis dieser Transaktion war der Tod Mulhares und der berufliche Ruin meines Bruders, Mr Tyrone.«

    Möglicherweise hatte er die Absicht, die Anschuldigung abzustreiten, doch eine unwillkürliche Veränderung bestätigte die Richtigkeit ihrer Vermutung: Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen, so dass seine Haut fast grau aussah. Er holte tief Luft, überlegte es sich dann aber offenbar anders und sagte nichts. Seine Augen funkelten, und einen Augenblick lang fragte sich Charlotte, ob er jemanden herbeiklingeln und sie auf die Straße setzen lassen wollte. Zwar würde vermutlich kein Dienstbote gegen sie handgreiflich werden, doch sollte sich einer der in die Angelegenheit verwickelten Mittäter im Hause befinden, würde das die Gefahr nur vergrößern, in der sie schwebte. McDaid hatte sie gewarnt.
    Oder nahm Tyrone womöglich an, sie sei auf die eine oder andere Weise an Cormac O’Neils Ermordung beteiligt?
    Jetzt zitterte ihre eigene Stimme. »Zu viele Menschen sind bereits zu Schaden gekommen. Sicher wissen Sie auch, dass man den armen Cormac O’Neil heute Morgen ermordet hat. Es ist an der Zeit, diesen Dingen ein Ende zu bereiten. Ich will gern glauben, dass Sie keine Vorstellung davon hatten, was für Tragödien sich aus jener Geldüberweisung ergeben würden, und habe auch volles Verständnis für Ihren Hass auf jene, die ein Land besetzen, das von Rechts wegen Ihnen gehört. Aber durch Mord und Verrat lässt sich nichts gewinnen. Sie führen lediglich zu weiteren Tragödien unter denen, die darin verwickelt sind. Falls Sie an der Wahrheit meiner Worte zweifeln sollten, brauchen Sie sich nur anzusehen, was geschehen ist: Alle O’Neils sind tot. Sogar das, was sie einst miteinander verband, ist zerstört, denn sowohl Kate als auch Cormac sind von denen ermordet worden, die sie geliebt haben.«
    »Ihr Bruder hat Cormac getötet«, sagte er schließlich.
    »Nein. Er war bereits tot, als wir sein Haus erreichten.«
    Er war verblüfft. »Sie sagen ›wir‹? Waren Sie denn ebenfalls dort?«

    »Unmittelbar hinter ihm, aber nur wenige Sekunden später als er …«
    »Dann konnte er ihn umgebracht haben, bevor Sie ins Haus getreten sind.«
    »Nein. Ich bin ihm praktisch auf den Fersen gefolgt und hätte einen Schuss hören müssen. Ich habe lediglich gehört, dass der Hund angefangen hat zu bellen, als Victor das Haus betreten hat.«
    Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als hätten sich vor seinem inneren Auge plötzlich die

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