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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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an, dass Sie Ihren Bruder sehr viel besser kennen als ich. Ist er überhaupt Ihr Bruder?«
    Jetzt war es an Charlotte zu erröten. »Vielleicht sind Sie derjenige, der eine verdorbene Fantasie hat, Mr Tyrone«, sagte sie mit einer Stimme, die unter anderem deshalb bebte, weil sie wusste, was Narraway für sie empfand.
    Da ihr keine Möglichkeit einfiel, sich zu verteidigen, ging sie zum Angriff über. »Warum tun Sie das für Charles Austwick?
Was bedeutet er Ihnen? Er ist Engländer und jemand, der Macht und ein hohes Amt in eben dem Geheimdienst anstrebt, der ins Leben gerufen wurde, um Irlands Hoffnungen auf Selbstbestimmung zu zerschlagen.« Ihr war bewusst, dass sie damit übertrieb. In Wahrheit hatte man den Sicherheitsdienst zum Kampf gegen die Bomben- und Mordanschläge gegründet, mit denen interessierte Kreise in Großbritannien Terror verbreiten wollten, um zu erreichen, dass man den Iren die Selbstbestimmung gewährte. Doch diese Unterscheidung erschien ihr pedantisch und in der gegenwärtigen Situation ihrer Ansicht nach unerheblich.
    Mit wütender Stimme zischte Tyrone: »Es kümmert mich einen Dreck, wer an der Spitze Ihrer verdammten Dienste steht, ob geheim oder nicht. Mir ging es um die Gelegenheit, Narraway aus dem Weg zu räumen. Verglichen mit ihm ist Austwick ein Dummkopf.«
    »Sie kennen ihn also doch genauer?« Sie klammerte sich an den einzigen Bestandteil seiner Aussage, der eine Möglichkeit zu enthalten schien, ihn anzugreifen, und sei es auch nur kurzfristig.
    Hinter ihr ertönte ein leises Geräusch, es klang wie Stoff, der den Türrahmen streifte.
    Sie wandte sich um und sah Bridget Tyrone nur einen Schritt von sich entfernt stehen. Mit einem Mal wurde sie von tiefer Angst erfasst. Wenn man ihr etwas antäte, könnte sie sich die Lunge herausschreien, ohne dass jemand sie hörte … oder sich dafür interessierte. Es kostete sie alle Kraft, ruhig stehen zu bleiben und mit – zumindest annähernd – ruhiger Stimme weiterzusprechen.
    Es war sinnlos, so zu tun, als habe Tyrones Frau das Gespräch nicht mit angehört.
    Charlotte saß in der Falle, das war ihr klar. Die blinde Wut in Bridgets Gesicht war unverkennbar. Beide Frauen traten im
selben Augenblick einen Schritt vor. Noch nie im Leben hatte Charlotte eine andere Frau geschlagen, doch als sie sich umsah, als wolle sie etwas zu Tyrone sagen, und merkte, dass auch er auf sie zukam, holte sie mit dem Arm aus, so weit sie konnte, und legte ihr ganzes Gewicht in den Schlag, mit dem sie Bridget am Kopf traf.
    Diese fiel zur Seite und stieß gegen ein Tischchen voller Bücher, das unter dem Anprall umfiel. Sie schrie laut auf, ebenso sehr vor Schmerz wie vor Wut. Das lenkte ihren Mann ab, der daraufhin zu ihr eilte, um ihr auf die Beine zu helfen. Diese Gelegenheit nutzte Charlotte dazu, den Raum zu verlassen und mit schnellem Schritt durch das Vestibül der Haustür entgegenzueilen. Sie riss sie auf und stürmte auf die Straße hinaus, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen. Mit beiden Händen ihre Röcke raffend, um nicht zu stolpern, rannte sie bis zur nächsten Hauptstraße. Dort kam sie so außer Atem an, dass sie keinen Schritt mehr gehen konnte. Sie ließ die Röcke los und begann, nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, so würdevoll, wie sie konnte, die schwach beleuchtete Straße entlangzugehen. Dabei hielt sie Ausschau nach einer Kutschenlaterne, in der Hoffnung, möglichst bald eine Droschke zu finden, die sie in ihre Pension bringen würde. Sie wollte diese Gegend so rasch wie möglich hinter sich lassen.
    Als sie endlich eine Droschke anhalten konnte, nannte sie dem Kutscher die Adresse und stieg ein. Unterwegs versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen.
    Noch hatte sie nicht alle Zusammenhänge durchschaut, kannte lediglich einzelne Elemente, die nur teilweise zueinander passten. Talulla war Seans und Kates Tochter. Wann hatte sie, und sei es auch nur in groben Zügen, erfahren, was wirklich geschehen war? Noch wichtiger aber war unter Umständen die Frage, wer sie über die Hintergründe aufgeklärt hatte.
Hatte man ihr das in dem Bewusstsein mitgeteilt, dass sie gewaltsam darauf reagieren würde? Kannten diese Leute sie so gut, hatten sie sich ihre Einsamkeit, ihr Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, mit voller Absicht zunutze gemacht, um zu erreichen, dass sie Cormac ermordete und Narraway die Schuld daran gab? Ihr mochte das als gerechtfertigte Rache für die Zerstörung ihrer Familie erscheinen. Mitunter

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