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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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hatte? Sicherlich hatte sie da das Bedürfnis, allein zu sein? Außerdem musste sie sich um den Hund kümmern. Würde sie nicht warten, bis die Polizei abgezogen war, damit sie die von ihrem Onkel aufbewahrten Unterlagen über ihre Eltern aus dessen Haus holen konnte?
    Er hämmerte erneut an die Tür.
    Nach wie vor geschah nichts.
    War sie womöglich schon dort? Er hatte keine Polizeibeamten vor der Tür gesehen. Oder hatte sie sich in ihrem Haus hingelegt, seelisch erschöpft von dem Mord und der endlich vollzogenen Rache?
    Er zog die Uniformjacke aus, wickelte sie, während ihm der Regen auf den nackten Oberkörper prasselte, um die Faust und schlug eine Fensterscheibe neben der Tür ein, wobei er sorgfältig darauf achtete, dass es nicht klirrte. Dann öffnete er das Fenster und kletterte hindurch. Er zog die Jacke wieder an und ging leise von Zimmer zu Zimmer, um zu sehen, wo sich Talulla aufhielt.
    Das Haus war verlassen. Er hatte nicht angenommen, dass ein Dienstmädchen da sein würde, denn bestimmt hatte Talulla ihr den Tag freigegeben. Sie sollte nichts mitbekommen, weder Schüsse noch das Bellen des Hundes hören.
    Er verließ das Haus durch die Hintertür und eilte mit raschen Schritten auf Cormacs Haus zu. Die Zeit wurde knapp. Seine Verfolger konnten jeden Augenblick eintreffen. Vorwärts! Vorwärts!
    Er hielt sich nicht mit Anklopfen auf. Ihm blieb keine Zeit zu warten, und ohnehin war es nicht wahrscheinlich, dass Talulla jetzt jemandem öffnen würde.

    Erneut zog er die Jacke aus. Inzwischen zitterte er vor Kälte, vielleicht auch vor Furcht. Wieder schlug er ein Fenster ein und war binnen Sekunden im Haus. Sogleich fing der Hund wild zu bellen an.
    Er sah sich suchend um und trat in einen Raum, der aussah wie eine Speisekammer. Er musste unbedingt die Küche erreichen, bevor Talulla sich ihm in den Weg stellte. Wenn sie den Hund auf ihn hetzte, musste er bereit sein. Was sollte sie daran hindern? Schließlich war er in das Haus eingedrungen und wurde bereits des Mordes an Cormac verdächtigt. Da hatte sie jede Rechtfertigung, die sie brauchte.
    Rasch öffnete er die Tür und fand sich in der Spülküche, die unmittelbar neben der Küche lag. Kaum hatte er einen hölzernen Schemel ergriffen, als Talulla die Tür von der Küche aus öffnete. Im selben Augenblick stürmte der Hund wild bellend auf ihn los.
    Bei Narraways Anblick blieb Talulla verblüfft stehen. Er hob den Schemel so, dass dessen dünne spitze Beine auf den Hund wiesen.
    »Ich möchte dem Tier nichts tun«, sagte er. Er musste laut sprechen, um das Bellen zu übertönen. »Rufen Sie ihn zurück. «
    »Damit Sie mich auch umbringen können?«, rief sie ihm entgegen.
    »Stellen Sie sich nicht dumm!« Er hörte die Wut in seiner eigenen Stimme, die er kaum noch beherrschen konnte. »Sie haben Ihren Onkel selbst umgebracht, um sich endlich zu rächen.«
    Ein hartes, kaltes Lächeln voller Hass trat auf ihre Züge. »Sicher – aber hängen werden Sie dafür, Victor Narraway, und der Geist meines Vaters wird frohlocken. Ich werde da sein, um zuzusehen – das schwöre ich.« Sie wandte sich dem Hund zu. »Ruhig, ruhig«, gebot sie. »Lass ihn zufrieden. Ich will,
dass er vor Gericht kommt und zum Tode verurteilt wird. Wenn du ihm jetzt die Kehle zerfetzt, ginge das zu schnell und wäre zu einfach.« Sie richtete den Blick wieder auf Narraway.
    Irgendetwas lenkte den Hund ab, er fuhr in Richtung Haustür herum und knurrte drohend.
    »Zu einfach?« Narraway hörte den Unterton von Verzweiflung in seiner Stimme. Auch ihr dürfte das nicht entgehen.
    Das tat es in der Tat nicht, und ihr Lächeln wurde breiter. »Ich will Sie hängen sehen, will das Entsetzen mitbekommen, wenn man Ihnen die Schlinge um den Hals legt und Sie keuchend nach Atem ringen, Ihre Zunge sich verfärbt und aus dem Mund quillt. Dann werden Sie keinen Frauen mehr schön tun, nicht wahr? Macht man sich in die Hose, wenn man aufgehängt wird? Verliert man dann alle Beherrschung und Würde?« Sie kreischte jetzt mit verzerrtem Gesicht.
    »Genaugenommen sollen die Schlinge und die Falltür dafür sorgen, dass man sich das Genick bricht, und zwar sofort«, sagte er. »Man soll gleich tot sein. Vermindert das Ihre Vorfreude? «
    Schwer atmend sah sie ihn an. Mit zurückgezogenen Lefzen konzentrierte sich der Hund vollständig auf das, was er an der Haustür hörte, und das Knurren, das aus seiner Kehle drang, wurde lauter.
    Sofern Talulla merkte, dass jemand dort war – und er

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