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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erkannte das Entsetzen auf Austwicks Zügen, konnte sich aber kein Mitgefühl leisten. »Die andere Möglichkeit besteht darin, dass Sie mit uns kommen und Ihre Leute aus Osborne House zurückrufen«, fuhr er fort. »Sie haben zwei Minuten Zeit, sich zu entscheiden. Wollen Sie als geächteter Verräter am Galgen enden – oder uns begleiten und als Held leben oder sterben?«
    Austwick brachte kein Wort heraus. Er war sichtlich vor Angst wie gelähmt.
    »Schön«, sagte Pitt entschlossen. »Sie kommen also mit. Das habe ich mir gleich gedacht. Wir nehmen den Nachtzug nach Portsmouth. Beeilen Sie sich.«

    Stoker fasste Austwick mit festem Griff am Arm, und sie traten in die Nacht hinaus.
    Sie mussten ihn halb in die wartende Droschke heben, dann nahmen sie links und rechts von ihm Platz. Der Polizeiwachtmeister und ein weiterer uniformierter Beamter folgten in einer zweiten Droschke, bereit, erforderlichenfalls die Straße freizumachen.
    Schweigend ging es im gestreckten Galopp der Themse und dem an ihrem Südufer gelegenen Bahnhof entgegen, wo sie den Postzug nach Portsmouth nehmen wollten. Pitt merkte, dass er unwillkürlich die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sein ganzer Körper schmerzte vor Anspannung, weil er nicht wusste, ob der Zug wirklich warten würde. Der Beamte hatte von Austwicks Haus aus auf der eigenen Wache angerufen, damit die Kollegen die Leute bei der Bahn instruierten. Wenn nun der Bahnhofsvorsteher der Nachtschicht ihm nicht geglaubt oder nicht begriffen hatte, wie dringend die Sache war? Was, wenn der Mann einer solchen Krisensituation nicht gewachsen war?
    Weiter ging es durch nahezu verlassene Straßen, über die Themsebrücke von Battersea, dann scharf nach Westen durch die High Street. In einem Augenblick fürchtete er, dass sie zu langsam fuhren, und im nächsten, wenn die Droschke in rasender Fahrt eine Kurve nahm, dass sie zu schnell fuhr und umstürzen würde.
    Am Bahnhof sprangen sie hinaus, und Pitt bezahlte dem Kutscher viel zu viel, weil er es sich nicht leisten konnte, auf das Wechselgeld zu warten. Sie stürmten im Laufschritt in die Halle und zerrten Austwick mit. Der Polizeiwachtmeister wies seine Dienstmarke vor und rief dem Bahnhofsvorsteher zu, er solle ihnen den Weg zum Zug nach Portsmouth zeigen.
    Der Mann gehorchte bereitwillig, doch mit unübersehbarem Unbehagen. Als er voller Mitleid Austwicks aschfahles Gesicht
musterte, fürchtete Pitt einen Augenblick lang, er werde sich einmischen.
    Die Lokomotive stand schon unter Dampf. Ein sichtlich ungeduldiger Schaffner wartete neben der offenen Tür seines Dienstabteils, die Trillerpfeife an den Lippen.
    Pitt dankte dem Polizeiwachtmeister und dessen Männern von ganzem Herzen. Er nahm sich vor, ihn zur Beförderung vorzuschlagen, immer vorausgesetzt, er überlebte die Nacht und sein Ruf war danach so, dass sich seine Empfehlung positiv auswirken konnte.
    Kaum waren sie eingestiegen, als der Schaffner abpfiff. Die Lokomotive ruckte an wie ein Pferd, das sein Reiter nur mühsam hatte zurückhalten können.
    Der Schaffner, ein kleiner Mann mit leuchtend blauen Augen, sah zweifelnd zu Pitt hin und sagte: »Ich hoffe nur, dass der Aufwand die Mühe wert ist. Sie werden Erklärungen abgeben müssen, junger Mann. Ist Ihnen klar, dass Sie uns volle zehn Minuten haben warten lassen?« Er warf einen Blick auf seine Taschenuhr und steckte sie wieder ein. »Elf«, korrigierte er sich. »Dieser Zug befördert die königliche Post. Nichts und niemand hält ihn auf, kein Regen, keine Überschwemmung und auch kein Gewitter. Und dann stehen wir für Leute wie Sie däumchendrehend auf dem Bahnhof herum.«
    »Danke«, sagte Pitt ein wenig außer Atem.
    Der Schaffner sah ihn an. »Nun … wenn sich einer zu benehmen weiß, ist das gut und schön, aber trotzdem kann man die königliche Post nicht so mir nichts, dir nichts warten lassen. Solange ich dafür zuständig bin, gehört sie der Königin. «
    Pitt holte Luft, um ihm zu antworten, doch dann ging ihm auf, wie paradox die Situation war. Er lächelte und schwieg.
    Er ging mit Stoker und Austwick nach hinten, wo sie sich setzten. Stoker ließ Austwick keine Sekunde aus den Augen,
als fürchte er, der Mann werde versuchen davonzulaufen, obwohl er nirgendwohin gekonnt hätte.
    Pitt überlegte schweigend, wie sie nach ihrer Ankunft in Portsmouth am besten vorgehen konnten. Auf jeden Fall würden sie ein Boot requirieren müssen, ganz gleich, was für eins, um auf die Insel übersetzen zu

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