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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sie nicht wollen, dass ich ihm das Genick breche«, stieß Croxdale mit sich beinahe überschlagender Stimme hervor.
    Pitt zweifelte keine Sekunde daran, dass er diese Drohung wahrmachen würde. Die Maske war gefallen: Croxdale hatte nichts mehr zu verlieren. Mit Sicherheit würde Stoker den Würgegriff nicht lange durchhalten, und so blieb Pitt keine Wahl. Noch befand sich Stoker halb seitlich von Croxdale, wurde aber von ihm immer mehr herübergezogen. Es würde nur noch wenige Augenblicke dauern, bis Stoker bewusstlos war, dann konnte Croxdale ihn nach Belieben als lebenden Schutzschild benutzen.

    Pitt zielte auf Croxdales Kopf und traf. Das überraschte ihn selbst, nicht wegen der Entfernung, denn die war gering, wohl aber, weil er noch nie zuvor auf einen Menschen geschossen hatte.
    Croxdale stürzte rücklings zu Boden. Von Blutspritzern bedeckt, sank Stoker taumelnd neben ihn. Pitt ließ die Waffe fallen, ergriff seine Hand und zog ihn auf die Füße.
    Stoker sah zu der Pistole hin.
    »Lassen Sie sie liegen!«, sagte Pitt, der verblüfft feststellte, dass seine Stimme fast völlig normal klang. »Der Minister hat sich erschossen, als er gemerkt hat, dass wir Beweise für seinen Hochverrat besitzen. Wir wussten nicht, dass er eine Waffe hatte, und konnten ihn daher nicht daran hindern.« Jetzt zitterte er doch, und es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, sich auf den Beinen zu halten. » Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«, fuhr er mit einem Mal Stoker an. »Er hätte Sie glatt umgebracht!«
    Keuchend rieb sich Stoker den Hals. »Ich weiß«, gab er mit rauer Stimme zurück. »Nur gut, dass Sie geschossen haben, sonst läge jetzt ich dort tot am Boden. Danke, Sir.«
    Gerade als ihm Pitt mitteilen wollte, dass es ausgesprochen dumm von ihm gewesen sei, sich von Croxdale auf diese Weise packen zu lassen, kam ihm die plötzliche Erkenntnis, dass er das mit voller Absicht getan hatte. Er hatte das eigene Leben ganz bewusst aufs Spiel gesetzt, um zu erreichen, dass Pitt auf Croxdale schoss. Er musterte Stoker mit einem Blick, als sehe er ihn zum ersten Mal.
    » Was hätten wir sonst gegen ihn ausrichten können, Sir?«, fragte Stoker pragmatisch. »Hätten wir ihn etwa fesseln sollen? Dann hätten ihn seine Dienstboten gefunden und befreit. Hätten wir ihn in einer Droschke mitnehmen oder einer von uns hierbleiben und ihn bewachen sollen?«
    »Sie haben Recht!«, schnitt ihm Pitt das Wort ab. »Jetzt aber müssen wir so schnell wie möglich zur Isle of Wight, um
die Königin zu retten, von Narraway, Lady Vespasia und meiner Frau ganz abgesehen.« Seine Gedanken jagten sich, während er sich die Männer vorstellte, von denen er wusste, dass sie sich dort aufhielten: Fanatiker wie Portman, Gallagher, Haddon, Fenner und andere, die vor keiner Gewalttat zurückschreckten und einer wie der andere demselben fehlgeleiteten Idealismus anhingen. Jeder von ihnen war bereit, um der Veränderung willen, die ihrer Ansicht nach ein neues Zeitalter gesellschaftlicher Gerechtigkeit einläuten würde, zu töten und, wenn es nötig war, auch zu sterben.
    Dann kam ihm ein weiterer Gedanke. »Für den Fall, dass er Austwicks Festnahme veranlasst hat – wohin hat er ihn da wohl in der Eile bringen lassen?«
    »Austwick?« Stoker begriff nicht.
    »Ja. Wo mag der jetzt sein? Wie lässt sich feststellen, wo er wohnt? Oder wissen Sie es?«
    »In Kensington, Sir, nicht weit von hier«, gab Stoker zur Antwort. »Falls Croxdale überhaupt jemanden angerufen hat, dann die Polizei von Kensington.«
    »Sofern er es nicht getan hat, werden wir das jetzt tun«, sagte Pitt, der inzwischen eine genaue Vorstellung davon hatte, wie er weiter vorgehen musste. »Vorwärts, es eilt. Wir wissen nicht, wen Croxdale angerufen hat – auf keinen Fall war es der Premierminister.« Er ging auf das Arbeitszimmer zu.
    »Sir!«, sagte Stoker verwirrt.
    Pitt wandte sich zu ihm um. »Falls einer der Dienstboten herunterkommt, sagen Sie ihm, dass sich Sir Gerald erschossen hat. Tun Sie alles, was Sie können, um dafür zu sorgen, dass es glaubhaft aussieht. Ich rufe die Polizeiwache von Kensington an.« Da er keine Zeit hatte, lange nach der Nummer zu suchen, nahm er den Hörer ab und teilte der Vermittlung mit, dass er dringend eine Nummer brauche. Vielleicht hatte Croxdale es ja ebenso getan. Als sich die Polizei meldete, stellte
er sich vor und erklärte, jemand habe sich in Bezug auf Mr Austwick einen schlechten Scherz erlaubt, indem er unter

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