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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verhindern, dass die wahre Herkunft des Geldes bekannt werden konnte, alle Freunde und Feinde, die ich mir im Laufe der Zeit dort gemacht habe, wo das passiert ist. Alles weist auf O’Neil hin.«
    »Aber warum sollte jemand in Lisson Grove bereit gewesen sein, den Mann bei seiner Handlungsweise zu unterstützen?«, fragte sie. Ihr war klar, dass diese Frage ebenso schmerzhaft war wie das Herausholen winziger Steinchen aus einem aufgeschürften Knie oder Ellbogen, nur dass sie weit tiefer reichte als eine solche Wunde. Unwillkürlich trat ihr das Bild vor Augen, wie Daniel mit schmutzigen und blutigen Beinen auf
einem Küchenstuhl saß und sie versucht hatte, die Stellen zu säubern, an denen er sich die Haut aufgeschürft hatte, und dabei die kleinen Steinchen zu entfernen. Dabei hatten ihm die Tränen in den Augen gestanden, während er finster entschlossen an die Decke gestarrt hatte, um zu verhindern, dass sie ihm über das Gesicht liefen und verrieten, wie sehr es ihn schmerzte.
    »Dafür gibt es viele Gründe«, gab Narraway zurück. »Eine Arbeit wie die meine kann niemand erledigen, ohne sich Feinde zu machen. Man erfährt Dinge über andere Menschen, die man weit lieber nicht wüsste. Aber das ist ein Luxus, auf den man in dem Augenblick verzichtet, da man die Verantwortung übernimmt.«
    »Das ist mir bekannt«, erwiderte sie ihm.
    Seine Augen wanderten ein wenig hin und her. »Tatsächlich? Woher wissen Sie das, Charlotte?«
    Sie erkannte die Falle und vermied sie. »Nicht von Thomas. Seit er beim Sicherheitsdienst ist, spricht er nicht mehr über seine Arbeit. Außerdem nehme ich an, dass man so komplizierte Dinge einem Außenstehenden nicht erklären kann.«
    Er sah sie jetzt aufmerksam an. Seine Augen waren so dunkel, dass es ihr schwerfiel, darin irgendeinen Ausdruck zu erkennen. Die Linien seines Gesichts zeigten alle Gefühle, die er im Laufe der Jahre empfunden hatte: Besorgnis, Freude und Kummer.
    »Meine älteste Schwester ist vor vielen Jahren ermordet worden, wie eine ganze Reihe anderer junger Frauen«, erklärte sie. »Niemand wusste, wer dahintersteckte. Diese Mordserie hat im ganzen Land Aufsehen erregt, und wir alle haben uns über den wahren Hintergrund getäuscht. Aber im Laufe der Nachforschungen hat jeder von uns eine Menge Dinge über sich und die jeweils anderen erfahren, von denen wir besser nie Kenntnis erlangt hätten. So etwas kann man nicht vergessen.
« Die bloße Erinnerung schmerzte sie, obwohl die Sache volle vierzehn Jahre zurücklag. Sie hatte nicht die geringste Absicht, ihm mitzuteilen, worin diese Entdeckungen bestanden hatten, und schon gar nicht, was sie dabei über sich selbst erfahren hatte.
    Sie sah ihn an und erkannte neben der Überraschung auf seinen Zügen auch eine Freundlichkeit, die sie verlegen machte. Die einzige Möglichkeit, das Unbehagen zu überspielen, bestand darin weiterzureden.
    »Später, nachdem ich Thomas geheiratet hatte, habe ich mich an der Aufklärung einer ganzen Reihe seiner Fälle beteiligt, vor allem, wenn es um Angehörige der höheren Schichten ging. Ich hatte den Vorteil, ihnen von Gleich zu Gleich gegenübertreten und dabei Dinge in Erfahrung bringen zu können, die er nie im Leben herausbekommen hätte. Man hört ganz nebenbei, was getratscht wird – der Klatsch macht ja einen großen Teil des gesellschaftlichen Lebens aus. Wer etwas erfahren möchte und dabei klug vorgeht, das, was einer sagt, mit dem vergleicht, was andere gesagt haben, unauffällig Fragen stellt und Antworten auswertet, erhält auf jeden Fall Kenntnis von so manch Betrüblichem aus dem Privatleben anderer, was ihn nicht im Geringsten angeht, und er bekommt auch mit, wo diese Menschen verletzlich sind. Mitgefühl wie Enttäuschung kann weit schmerzhafter sein, als man es sich vorstellt, bis man es am eigenen Leibe erfahren hat.«
    Er nickte kaum merklich. Ihm war klar, dass es für ihn keinen Grund gab, etwas dazu zu sagen.
    Eine Weile saßen sie schweigend da. Das rhythmische Rattern der Räder war angenehm, beinahe einlullend. Die letzten Tage waren schwierig und anstrengend gewesen, und als sie merkte, dass sie einzunicken begann, fuhr sie mit einem Ruck hoch. Hoffentlich hatte sie nicht mit halb offenem Mund in ihrem Sitz gehangen!

    Nach wie vor hatte sie nicht die geringste Vorstellung davon, auf welche Weise sie Narraway helfen konnte.
    »Wissen Sie, wer Sie in Lisson Grove verraten hat?«, fragte sie.
    Er beantwortete ihre Frage umgehend, als habe er

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