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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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in einem fremden Land mit Victor Narraway auf der Suche nach einer Unterkunft durch die Straßen. Da brauchte sie sich wirklich nicht über Mrs Watermans Entrüstung zu wundern. Vielleicht hatte die Frau damit ja durchaus Recht gehabt. Charlotte hatte weder eine Vorstellung davon, wo sie sich befand, noch davon, auf welche Weise sie Narraway oder auch ihrem Mann helfen konnte.
    Pitt war in Frankreich, hatte nicht einmal ein frisches Hemd, Socken oder Wäsche zum Wechseln mit und verfolgte jemanden, dem es nichts ausmachte, einem Mann am helllichten Tag die Kehle durchzuschneiden, so dass er verblutete und liegenblieb wie ein Sack Abfall. Zwar hatte Narraway ihm Geld geschickt, aber würde er damit auskommen? Ganz davon abgesehen war er auf Unterstützung angewiesen, auf Informationen, möglicherweise auch auf die Mitwirkung der französischen Polizei. Würde der Mann, der in Lisson Grove an Narraways Stelle getreten war, für all das sorgen? Verhielt er sich seinen Untergebenen gegenüber loyal – und war er seiner Aufgabe überhaupt gewachsen?
    Schlimmer noch war der Gedanke, dass er nahezu mit Sicherheit auch Pitts Feind war, wenn es sich bei ihm um einen Feind Narraways handelte. Da Pitt von den Vorgängen in London nichts wusste, würde er seine Berichte weiterhin so abfassen, als ob sie für Narraway bestimmt seien.
    Sie wandte sich von ihm ab und sah hinaus. Die Fahrt ging vorüber an hübschen Häusern aus dem 18. Jahrhundert und ab und zu auch an öffentlichen Gebäuden und Kirchen von klassischer Eleganz. Von Zeit zu Zeit erhaschte sie einen Blick auf den Liffey, der sich nicht so sehr zu winden schien wie die Themse.

    Die Pferdebahnen sahen denen in London recht ähnlich, und in den stilleren Seitenstraßen peitschten Kinder Kreisel oder vergnügten sich mit Seilhüpfen.
    Zweimal setzte sie an, um zu fragen, wohin sie fuhren, unterließ es aber, als sie die Anspannung und Konzentration auf Narraways Zügen erkannte.
    Schließlich hielten sie vor einem Haus in der Molesworth Street im Südosten der Stadt an.
    »Augenblick«, sagte Narraway, der plötzlich wieder ansprechbar schien, »ich bin gleich wieder da.« Ohne auf ihre Erwiderung zu warten, stieg er aus, ging auf das nächstgelegene Haus zu und klopfte kräftig an dessen Tür. Schon bald öffnete eine Frau in mittleren Jahren, die eine weiße Schürze trug und die Haare in einem Knoten auf dem Kopf zusammengefasst hatte. Nachdem Narraway etwas zu ihr gesagt hatte, bat sie ihn herein und schloss die Tür hinter ihm.
    Mit einem Mal merkte Charlotte, dass sie fror und schrecklich müde war. Sie hatte schlecht geschlafen, teils wegen der Enge der Kabine und der ständigen Bewegung des Fährschiffs, vor allem aber, weil ihr zu Bewusstsein gekommen war, wie überstürzt sie gehandelt hatte. Während sie jetzt dort wartete, wäre sie gern an jedem anderen Ort als jenem gewesen. Vermutlich würde Pitt fuchsteufelswild sein, sobald er davon erfuhr. Und wenn er nun nach Hause zurückkehrte und die Kinder allein in der Obhut eines Mädchens vorfand, das er nie zuvor gesehen hatte? Sie würden ihm mitteilen, dass Charlotte mit Narraway nach Irland gereist war, ohne ihm den Grund dafür sagen zu können!
    Sie fröstelte, als Narraway zurückkehrte, erst mit dem Kutscher sprach und dann das Wort an sie richtete.
    »Hier bekommen wir ruhige und saubere Zimmer. Es ist ein durch und durch achtbares Haus, und wir werden hier niemandes Aufmerksamkeit erregen. Sobald wir uns eingerichtet
haben, werde ich mit den Leuten in der Stadt Verbindung aufnehmen, denen ich nach wie vor trauen kann.« Er musterte sie aufmerksam. Ihr war klar, dass sie müde und zerzaust aussah, ganz davon abgesehen, dass man ihr die schlechte Laune vermutlich vom Gesicht ablesen konnte. Sie hatte von sich selbst in diesem Augenblick keine besonders hohe Meinung. Sicher würde ein Lächeln die Situation entspannen, doch wäre es ihr angesichts der Umstände töricht erschienen, ein künstliches Lächeln aufzusetzen.
    »Bitte warten Sie auf mich«, fuhr er fort. »Sie können sich unterdessen gern ausruhen. Vielleicht haben wir heute Abend eine Menge zu tun. Bedauerlicherweise dürfen wir keine Zeit verlieren.«
    Er hielt ihr den Arm hin, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, und sah ihr fragend in die Augen. Offensichtlich war er um sie besorgt, doch war sie froh, dass er nichts weiter sagte. Alles Nötige war gesagt worden. Augenblicke des Zweifels waren unvermeidlich, vielleicht sogar

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