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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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lag, was andere von ihr hielten, als sie von sich selbst – und mit solchen Menschen würde sich Narraway freiwillig nicht umgeben. Was mochte er diesem Mann über sie gesagt haben? Und was wusste McDaid über Narraway? Sie war sicher,
dass sie auf solche Fragen keine Antwort bekommen würde.
    Der Ausdruck in McDaids Augen, der nur flüchtig aufgeblitzt war, hatte ihr gezeigt, dass es eine ganze Menge sein musste. Sie lächelte, nicht, um ihn zu umgarnen, sondern aus Belustigung.
    Er sah das Lächeln und verstand es. Ja, offensichtlich wusste er eine ganze Menge über Narraway.
    »Ich nehme an, dass man dort alle interessanten Menschen trifft«, sagte sie.
    »So ist es«, bestätigte er mit einem Nicken. »Und eine ganze Anzahl von ihnen wird heute bei der Abendgesellschaft der Tyrones anwesend sein. Es wird mir ein Vergnügen sein, sie Ihnen vorzustellen. Von hier ist es nur eine kurze Fahrt dorthin. Da es aber spät werden wird und zu weit ist, um zu Fuß in die Molesworth Street zurückzukehren, werde ich mir erlauben, Sie anschließend in meiner Kutsche nach Hause zu bringen.«
    »Das klingt sehr gut.« Zu Narraway gewandt, fragte sie: »Sehe ich dich morgen zum Frühstück? Sagen wir, gegen acht?«
    Er lächelte. »Ich nehme an, dass es dir lieber sein wird, wenn ich neun Uhr sage«, gab er zur Antwort.
     
    Auf dem Weg zum Haus ihrer Gastgeber unterhielten sich Charlotte und ihr Begleiter ausschließlich über belanglose Dinge. In erster Linie nannte ihr McDaid die Namen der Straßen, durch die sie fuhren, und erwähnte einige der Größen, die dort gelebt hatten. Manche der Namen hatte sie noch nie gehört, und obwohl sie das nicht sagte, nahm sie an, dass er es vermutete. Mitunter flocht er ein »Wie Sie sicher wissen« ein und teilte ihr dann etwas mit, wovon sie nicht die geringste Ahnung gehabt hatte.

    Das Haus des Ehepaars Tyrone war größer als das McDaids. In der aufwendig gestalteten Eingangshalle führten zu beiden Seiten geschwungene Treppen nach oben, die sich über der Tür zum ersten Empfangssalon zu einer Galerie vereinigten. Links hinter dem Salon lag das Esszimmer, in dem für über zwanzig Personen gedeckt war.
    Mit einem Mal begriff Charlotte, dass sie eine privilegierte Außenseiterin war, die man im Gegenzug für einen erwiesenen Gefallen oder zum Ausgleich einer bestehenden Schuld eingeladen hatte. Als sie und McDaid eintrafen, waren bereits über ein Dutzend Gäste da, Herren in Abendgarderobe und Damen, welche die gleichen Farben trugen, die man auch bei einer entsprechenden Abendgesellschaft in London hätte sehen können. Der Unterschied lag in der energiegeladenen Atmosphäre im Raum, in den ausholenden Handbewegungen und darin, dass die Anwesenden mit eindeutig nicht auf die englische Standardaussprache hin gedrillten melodiösen Stimmen sprachen.
    Sie wurde der Gastgeberin Bridget Tyrone vorgestellt, einer gut aussehenden Frau mit blendend weißen Zähnen. Ihr herrliches, kaum gebändigtes kastanienfarbenes Haar schien sich ihren Bemühungen, es zu frisieren, auf die gleiche Weise entzogen zu haben, wie Herbstlaub im Wind davonweht.
    »Mrs Pitt ist gekommen, um sich Dublin anzusehen«, teilte ihr McDaid mit. »Wo könnte man da besser beginnen als bei Ihnen?«
    »Aha, Neugier also führt Sie hierher?«, fragte John Tyrone, der neben seiner Gattin stand, ein Mann mit dunklen Haaren und leuchtend blauen Augen.
    Da Charlotte in der Frage einen Vorwurf zu spüren glaubte, ergriff sie die Gelegenheit und erläuterte mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es warm wirkte: »Sagen wir: Interesse. Einige Verwandte aus der Familie meiner Mutter stammen
aus der näheren Umgebung der Stadt und haben so begeistert von ihr gesprochen, dass ich mich selbst einmal hier umsehen wollte. Ich bedaure nur, dass es so lange gedauert hat, bis sich eine Möglichkeit dazu ergab.«
    »Ich hätte es mir denken sollen!«, sagte Bridget sogleich. »Sieh dir doch nur die Haare an, John! Das ist ein typisch irischer Farbton, nicht wahr? Wie hießen sie denn?«
    Charlotte überlegte rasch. Sie musste sich etwas ausdenken, zugleich aber auch dafür sorgen, dass es der Wahrheit so nahe wie möglich kam, damit sie später nicht vergaß, was sie gesagt hatte oder sich gar widersprach. Außerdem musste es für Narraways und ihr Vorhaben nützlich sein. Alles, was sie unternahm, würde sich als sinnlos erweisen, wenn sie nichts über die Vergangenheit erfuhr. Bridget Tyrone wartete mit weit geöffneten Augen

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