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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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selbst war nicht gefährdet, wenn man davon absieht, dass man ihn als Anarchisten – oder wie auch immer er sich selbst nennt – ansehen konnte. Vielleicht will er gar kein allgemeines Durcheinander, sondern eine bestimmte Gesellschaftsordnung, die er für gerechter hält und in der die Menschen weniger ungleich behandelt werden als jetzt. Es kann aber auch sein, dass er eine radikale Reform des Regierungssystems anstrebt. Was die Sozialisten genau wollen, gehört zu den Dingen, die wir in Erfahrung bringen müssen. Die können Dutzende unterschiedlicher Ziele verfolgen …«
    »Das tun sie auch«, fiel ihm Pitt ins Wort. »Ihnen allen aber ist gemeinsam, dass sie nicht bereit sind, auf Reformen zu warten, die in allgemeiner Übereinstimmung durchgeführt werden. Sie wollen sie dem Volk aufnötigen und ihre Durchsetzung notfalls mit Gewalt erzwingen.«
    »Und wie lange würde es dauern, bis jemand freiwillig Reformen einführt?«, fragte Gower mit einem Anflug von Sarkasmus. »Wer hat je seine Macht aufgegeben, ohne dazu gezwungen zu werden?«
    Pitt ging in Gedanken seine Geschichtskenntnisse durch. »Da fällt mir nichts ein«, gab er zu. »Deswegen nimmt das
normalerweise eine ganze Weile in Anspruch. Aber auf jeden Fall hat man die Sklaverei auf gewaltlosem Weg und ohne Revolution durch das Parlament abgeschafft.«
    »Ich bin nicht sicher, dass die ehemaligen Sklaven dieser Einschätzung zustimmen würden«, sagte Gower mit einer Stimme, in der Bitterkeit mitschwang. »Vielleicht möchte Wrexham gern die Nachfolge des Menschenfreundes und Sklavenbefreiers William Wilberforce antreten?«
    Pitt sah ihn von der Seite an und schämte sich ein bisschen wegen seiner wenig durchdachten und unausgegorenen Äußerung über die Sklaverei.
    »Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir genauer feststellen, was hier eigentlich gespielt wird«, sagte er. Es klang endgültig.
    Gower richtete sich auf. »Wenn wir uns offen erkundigen, bekommt er mit Sicherheit Wind davon und nimmt sich sehr viel mehr in Acht. Unser einziger Vorteil, Sir, besteht darin, dass er von der Beschattung durch uns nichts weiß. Können wir es uns leisten, diesen Vorteil aufzugeben?« Er zog die Brauen zusammen und machte ein besorgtes Gesicht.
    »Ich habe bereits ein paar Erkundigungen eingezogen«, sagte Pitt.
    »Was?« Mit einem Mal lag leichter Ärger in Gowers Stimme.
    Pitt war überrascht. Er gewann den Eindruck, dass sich hinter dem nach außen hin entspannt wirkenden Verhalten des Mannes eine innere Anteilnahme verbarg, die ihm bisher entgangen war. Das hätte ihm unbedingt auffallen müssen. Immerhin hatten sie auch vor Beginn der überraschenden Jagd, die sie nach Saint Malo geführt hatte, schon zwei Monate lang zusammengearbeitet.
    »Ja, und zwar um herauszufinden, von wem ich unauffällig Informationen bekommen kann«, gab er mit gleichmütiger Stimme zurück.

    »Und von wem?«, fragte Gower rasch.
    »Einem gewissen John McIver, ebenfalls Engländer, der seit zwanzig Jahren hier lebt. Er ist mit einer Französin verheiratet. «
    »Und Sie sind sicher, dass man dem Mann vertrauen kann, Sir?« Gower war nach wie vor skeptisch. »Ein einziges unbedachtes Wort, eine hingeworfene Bemerkung genügt, und Frobisher weiß, dass er überwacht wird. Dann könnten uns die wichtigen Leute wie Linsky und Meister durch die Lappen gehen.«
    »Ich habe McIver nicht aufs Geratewohl herausgepickt«, sagte Pitt. Er verschwieg, dass er den Mann von einem gänzlich anders gelagerten Fall her kannte.
    Gower holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Ja, Sir. Ich bleibe hier und behalte Wrexham im Auge, dann sehen wir ja, mit wem er zusammentrifft.« Mit einem plötzlichen Lächeln fügte er hinzu: »Vielleicht geh ich sogar runter zum Platz, seh die hübsche junge Frau mit dem schönen Kleid wieder und gönn mir ein Glas Wein.«
    Während Pitt den Kopf schüttelte, spürte er, wie seine Anspannung nachließ. »Ich vermute, dass Ihr Nachmittag angenehmer wird als meiner«, sagte er bedauernd.
     
    McIver wohnte rund acht Kilometer von Saint Malo entfernt auf dem Land. Er war von Pitts Besuch geradezu begeistert. Ganz offensichtlich schien er sich danach zu sehnen, mit jemandem in seiner Muttersprache reden zu können und aus erster Hand die letzten Neuigkeiten aus London zu erfahren.
    »Natürlich vermisse ich London, aber verstehen Sie mich nicht falsch, Sir«, sagte er, während er sich, behaglich in seinen Gartenstuhl zurückgelehnt, von der Sonne

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