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Der Verräter von Westminster

Der Verräter von Westminster

Titel: Der Verräter von Westminster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bescheinen ließ. Er hatte Pitt Wein und Kekse angeboten und – nachdem
dieser erklärt hatte, er esse nicht gern Süßes – frisches, knuspriges Brot mit Camembert, was Pitt gern akzeptierte.
    Jetzt wartete er darauf, dass McIver fortfuhr.
    »Es gefällt mir hier. Die Franzosen sind möglicherweise das zivilisierteste Volk auf Erden – natürlich abgesehen von den Italienern. Sie verstehen wirklich zu leben und tun das auf eine Weise, die selbst alltägliche Dinge elegant erscheinen lässt. Doch manche Annehmlichkeit des Lebens in England fehlt mir durchaus. So habe ich schon seit Jahren keine anständige Orangenmarmelade mehr gegessen. Sie wissen schon – kräftig, aromatisch und ein wenig bitter.« Er seufzte, während die Erinnerung seine Züge verklärte. »Die Times am frühen Morgen, eine schöne Tasse Tee und einen Diener, den buchstäblich nichts aus der Ruhe bringt. Ich hatte mal einen, der den Engel der Apokalypse mit der gleichen Gelassenheit hätte ankündigen können, mit der er das Eintreffen der Herzogin von Malmsbury gemeldet hat.«
    Pitt lächelte und verzehrte eine Scheibe Brot, zu der er einen Schluck Wein trank, bevor er auf den Zweck seines Besuchs zu sprechen kam.
    »Ich muss unauffällig Erkundigungen einziehen. Im Auftrag der Regierung, Sie verstehen?«
    »Selbstverständlich.« McIver nickte. »Was kann ich Ihnen sagen?«
    »Frobisher. Einer unserer Landsleute, der in Saint Malo lebt. Wäre er der richtige Mann, wenn es um einen kleinen Dienst an seiner alten Heimat ginge? Seien Sie bitte offen. Es ist … wichtig. Sie verstehen doch?«
    »Durchaus – durchaus.« McIver beugte sich leicht vor. »Ich würde Ihnen empfehlen, sich das gut zu überlegen, Sir. Ich kenne Ihren Auftrag nicht, Sir, aber Frobisher ist dafür kaum der Richtige.« Er machte eine kleine abschätzige Bewegung. »Er verkehrt mit einigen äußerst sonderbaren Gestalten. Er
behauptet, Sozialist zu sein, ein Mann des Volkes. Aber unter uns gesagt halte ich das für eine Fassade. Mit Hilfe von Unordnung und einer gewissen Nachlässigkeit gaukelt er seinen Mitmenschen vor, er sei ein einfacher Mann, dessen finanzielle Mittel beschränkt sind.« Er schüttelte den Kopf. »Er werkelt an diesem und jenem herum und gebärdet sich als Handwerker, der von seiner Hände Arbeit leben muss, verfügt aber in Wahrheit über beträchtliche Mittel und denkt nicht im Traum daran, sein Geld mit anderen zu teilen, das dürfen Sie mir glauben.«
    Zwar hatte Pitt sich zu fragen begonnen, ob hinter Frobisher mehr steckte als das behagliche Leben, das er zu führen schien, doch war er bitter enttäuscht von McIvers Worten. Wenn die Informationen, die West ihnen hätte zukommen lassen und um derentwillen Wrexham ihn umgebracht hatte, nichts mit Frobisher zu tun hatten – was tat Wrexham dann noch in Saint Malo? Warum hatten Leute wie Linsky und Meister Frobishers Haus aufgesucht?
    »Sind Sie sicher?«, fragte er.
    »So sicher, wie man nur sein kann«, gab McIvers zurück. »Er stolziert prahlerisch herum, aber es steckt nichts dahinter. Es ist wie das Radschlagen eines Pfaus. Er hat in seinem Leben noch keinen Handschlag getan.«
    »Bei ihm waren einige Besucher, die dafür bekannt sind, dass sie mit gewalttätigen Kreisen in Verbindung stehen«, blieb Pitt beharrlich bei der Sache. Er war nicht ohne weiteres bereit, sich einzugestehen, dass er und Gower sich für nichts und wieder nichts knapp eine Woche in Saint Malo aufgehalten hatten. Erst recht konnte er sich nicht vorstellen, dass man West ohne jeden Grund aus dem Weg geräumt hatte.
    »Haben Sie die selbst gesehen?«, erkundigte sich McIver.
    »Ja. Einer von denen ist unverkennbar«, teilte ihm Pitt mit. Noch während er das sagte, ging ihm auf, wie einfach es
war, einen so auffällig aussehenden Mann wie Linsky nachzuahmen. Er hatte ihn bislang nur auf Fotos gesehen, die aus einer gewissen Entfernung aus aufgenommen waren. Es dürfte nicht besonders schwerfallen, jemanden mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und fettigem Haar aufzutreiben, der den Mann verkörpern konnte – und Jacob Meister hatte ein Allerweltsgesicht.
    Aber welcher Zweck steckte hinter all dem? Warum wurde diese Scharade gespielt?
    Mit einem Schlag ging ihm auf: um ihn und Gower von ihrer eigentlichen Aufgabe fortzulocken. Bis zu diesem Augenblick war das den Leuten glänzend gelungen. Noch jetzt war Pitt verwirrt und bemühte sich, einen Sinn in dem Ganzen zu sehen, ohne zu wissen, was er als Nächstes tun

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