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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Einwanderer in einer billigen, viel zu großen Windjacke gewesen, ein Besucher im Haus. Jetzt ging ich durch die Lobby, als gehörte mir hier alles, ein Bewohner in einem elegant aussehenden Mantel auf dem Weg zu seinem ausländischen Wagen und von dort zu einem wichtigen Bürojob, einer verantwortungsreichen Position, die zweifellos auch so manchen abendlichen Termin mit sich brachte.
    Ich ging hinaus und überquerte die Straße. Ich zog die Überschuhe aus, steckte sie in die Aktentasche und stieg ins Auto. Ich fuhr ein paar Meilen zu einer anderen Einkaufsstraße und zog mir die Sachen an, mit denen ich angereist war: eine graue Kammgarnhose und einen olivefarbenen, leichten Rundhalspullover aus Merinowolle. Dann zog ich den Mantel wieder an und war froh, dass er so gut wärmte.
    Eine Stunde oder länger fuhr ich kreuz und quer durch die Gegend, hielt an Tankstellen und Lebensmittelläden und Schnellrestaurants, und jedes Mal deponierte ich ein oder zwei von den Sachen, die ich für den Crawley-Job gebraucht hatte, bis die Aktentasche leer war und schließlich selbst in einem Mülleimer neben einem Burger King entsorgt wurde. Ich stieß sie tief in den übrigen Abfall, wo sie unter einer kleinen Lawine von Hamburgerverpackungen begraben wurde.
    Ich ging zurück zum Auto. Die kahlen Bäume am Straßenrand hoben sich wie Gerippe gegen den Nachthimmel ab. Ich hielt inne und starrte eine Weile in den Himmel, auf irgendwas, das vielleicht jenseits davon lag.
    Oh, hab ich dich beleidigt?, dachte ich. Na los doch. Zeig, was du kannst. Ich bin hier und warte.
    Nichts geschah. Eine Minute verging. Ich begann zu frösteln.
    Plötzlich war ich hundemüde. Und hungrig. Ich musste was essen und mir ein Hotel suchen.
    Ich stieg ins Auto und fuhr wieder auf die Straße. Ich fühlte mich allein und weit weg von zu Hause.
    Wo immer das sein mochte.

3
    Sie gibt, wenn unser Augenmerk woanders ist, Gibt, was sie gibt, mit so anstelliger Befangenheit, Dass die Begierde hungers stirbt am Geben.
     
    T. S. Eliot, Gerontion

10
    MEIN TICKET VON OSAKA NACH WASHINGTON GALT FÜR DEN HIN- UND Rückflug. Tickets ohne Rückflug erregen unnötige Aufmerksamkeit, besonders nach dem elften September. Bei meiner Abreise war ich nicht sicher gewesen, ob ich den Rückflug nutzen würde, aber jetzt hatte ich einen triftigen Grund dafür, und an dem Morgen nach meiner Unterhaltung mit Crawley flog ich von Dulles aus zurück.
    Während der Pazifiküberquerung schlief ich tief und fest, bis die Durchsage kam, dass wir bald landen würden. Die Flugbegleiterinnen hatten meinen Wunsch respektiert, nicht geweckt zu werden, nicht mal, wenn Champagner und Kaviar serviert wurden. Ah, dieser Erste-Klasse-Service.
    Ich nahm den Rapito, den Hochgeschwindigkeitszug vom Kansai International Airport zum Bahnhof Namba Nankai im Süden Osakas. Ich hatte einen Fensterplatz, und während der dreißigminütigen Fahrt vom Flughafen bis zur Endstation saß ich da und starrte an meinem Spiegelbild in der Scheibe vorbei nach draußen. Am Horizont hatte sich ein Sonnenstreifen durch die Wolken geschoben und leuchtete wie ein sepiafarbener Suchscheinwerfer aus einem ansonsten grauen und monotonen Firmament. Während der Tag allmählich verschwand, blickte ich auf die Szenerien, die so losgelöst an mir vorbeizogen wie lautlose Bilder eines Stummfilms. Ein Reisfeld in der Ferne, auf dem eine einsame Frau arbeitete, die sich in der sumpfigen Weite zu verlieren schien. Ein Mann trat müde in die Pedale seines Fahrrads, und sein dunkler Anzug hing ihm am Körper, als wollte er nichts lieber als diese fruchtlose Vorwärtsbewegung aufzugeben und sich in die starke Umarmung der Schwerkraft fallen zu lassen. Ein Junge mit einem gelben Rucksack wartete vor den gesenkten Schranken des Bahnübergangs. Vielleicht war er auf dem Weg zu einer Juku, einer so genannten Paukschule, die ihm den Kopf mit Fakten vollstopfte, damit er in ein paar Jahren die Aufnahmeprüfung für die Uni bestand. Jedenfalls betrachtete er den vorbeifahrenden Zug mit einem seltsamen Stoizismus, als wüsste er, wie seine Zukunft aussehen würde, und hätte sich bereits mit ihrer Last abgefunden.
    In Namba rief ich Kanezaki von einem Münztelefon aus an. Ich sagte ihm, ich wollte ihn noch heute Abend sehen und dass er im Bulletin Board Anweisungen finden würde, wo und wie. In einem Internetcafé stellte ich die erforderlichen Informationen ins Board. Mit dem Nozomi-Superschnellzug konnte er in zweieinhalb Stunden

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